Nach und nach reisen die anderen Radwander*innen ab. Einem Vater mit zwei Söhnen, die jetzt Richtung Augsburg unterwegs sind, gebe ich Tips für Übernachtungsorte. Partyrock erschallt, ein Motorboot tuckert langsam vorbei. Darauf ein blaues Plastikdach, vier Männer und zwei große Deutschlandfahnen. Ich warte das Trocknen des Zeltes und einen ersten Regenschauer ab. Sehe schwarzen Eichhörnchen zu, wie sie über den inzwischen leeren Platz hüpfen und nach Resten der letzten Nacht suchen.
Bei Abfahrt freue mich über einen fälschlich an mich weitergeleiteten Link, bis mir klar wird, dass dies rein technisch betrachtet schnell gehen kann (mit dem Vertippen). Darüber und generell über Missverständnisse komme ich in den nächsten (öden) zwanzig Kilometern ins Grübeln. Die Autos rauschen an der Bundesstraße vorbei, die Reifen gleiten über den feuchten Asphalt des straßenbegleitenden Radwegs.
Was heißt überhaupt verstehen? Ist es wirklich, wie in der Hermeneutik angenommen, ein spiralenförmiger Vorgang, bei dem vom Großen zum Kleinen gewechselt wird? Was kann diesen Prozess beeinflussen oder gar verhindern? Oft verstehen wir ja noch nicht mal uns selbst, wie können wir dann überhaupt annehmen, dass wir die Welt um uns begreifen?
In Ingolstadt entdecke ich eine italienische Bar. „Vorrei un espresso. Dove posso lasciare la bici?“ Ganz selbstverständlich wird mir auf italienisch geantwortet, dass ich das Fahrrad an eine Bank lehnen kann und der Espresso gleich kommt.
Hier die Entscheidung ins Museum für konkrete Kunst zu gehen. Die Website verspricht: „Wo die konkrete Kunst eintritt, zieht die Schwermut mit ihren grauen Koffern voll schwarzer Seufzer fort.“ Klingt unterhaltsam zu werden.
In den Straßen von Ingolstadt sind nur die Restaurants mit Außensitzen in der Sonne besetzt, im Schatten sitzt hier niemand (in Venedig war es andersrum).
Ich treffe eine Radfahrerin, die einen Platten hat und der ich einen neuen, gefundenen (und bei mir nicht funktionierenden) Schlauch schenke. Noch schnell Bargeld holen (jippy, keine vier Euro Auslands-Gebühren mehr). Das Fahrrad im Blickfeld der Angestellten am Einlass abstellen und rein in die Museumshallen.
Was ist das überhaupt, konkrete Kunst?
Auf einer Italienkarte sind Zahlen eingestickt, man versucht automatisch zu verstehen, welchen Zusammenhang diese bilden.
Wieder raus aus dem Museum, bis nach Neustadt an der Donau sind es noch 30 Kilometer.
Es beginnt mit gewittern, ich entdecke eine geöffnete, private Garage. Der Mann darin lässt mich unterstellen, während er vor sich hin werkelt.
Ein paar Kilometer weiter halte ich nochmals an, um meine Sachen in der noch unklaren Wettersituation zu ordnen. Unschlüssig, ob es wieder regnet, gesellt sich zu mir ein anderer Radfahrer, der sich gern mit mir unterhalten möchte. Ich bleibe stumm und tu so, als ob ich ihn nicht verstehe. Es ist gerade viel zu schön, allein zu sein, nicht reden zu müssen. Und vor allem nicht mit der Ungeduld und/oder Unzufriedenheit von anderen klar kommen zu müssen.
Unter Hochspannungsleitung und der Autobahn hindurch gelange ich nach Pförring (wo in der Dorfmitte ein großes Bierzelt aufgebaut ist).
Inzwischen scheint die Sonne wieder, es ist nicht zu warm und nicht zu kalt. Herrlich ist es hier auf ebener Fläche dahin zu radeln. Den Hopfen anzuschauen, wie er in der untergehenden Sonne leuchtet.
Und in diesem besonderen Licht Spiegelung auf den Wasserflächen festzuhalten.
Am Campingplatz habe ich gerade aufgebaut, als ich zwei andere Radfahrende von der französischen Grenze kennenlerne. Wir kommen richtig gut ins Gespräch über gemeinsame Interessen (Radfahren, Kunst, u.s.w.). Doch um elf schläft hier schon jede*r, auch ich sollte langsam mal duschen gehen.
Und Wäsche waschen steht ja auch noch an, mal sehen, wann ich morgen hier weg und nach Regensburg komme.
Was sind denn das für besondere Jahreszahlen oben auf der Karte? Hat da jemand seine Urlaubsorte in Handarbeit festgehalten? Schöne Idee, aber wir waren’s nicht.