Unruhige Nacht, vier Stunden Schlaf. Giampietro kommt zum Frühstück rüber, macht Selfis in meinem Zelt und schickt sie an eine Freundin. Ich habe keine Nachrichten und auch keine Lust welche zu schreiben. Flucht aufs Klo.
Gestern Abend haben wir noch eine Waschmaschine angestellt, jetzt, in der strahlenden Sonne, trocknet die Wäsche schnell.
Wenn es etwas gibt, was beim Reisen mit dem Fahrrad wirklich nervt, dann ist es der Dreck und der Gestank. Mit jedem Tag setzen sie sich ein kleines bisschen mehr hartnäckig zwischen den Textilfasern fest. Sie jemals mit Handwäsche rauszubekommen, kann man irgendwann vergessen. Wie freue ich mich da schon auf zu Hause, eine stets verfügbare Waschmaschine. Vielleicht werde ich (das erste Mal in meinem Leben) auch Weichspüler verwenden, einfach nur um des Duftes willen. Und dann alles draußen im Garten aufhängen, was könnte es schöneres geben.
Um zwölf fahren wir ab, Blog u.s.w., alles schon erledigt. Auf dem Radweg ist heute so richtig viel los. Auch viele Ältere, die hier die Seen auf Pedelecs umrunden. In der Nähe von einem Imbiss hat sich ein kleiner Radfahrer*innenstau gebildet, ein Mann fängt sogleich an wütend zu klingeln.
Wir fahren nach Beschilderung der Via Claudia, die plötzlich verschwunden ist. Mist, verfahren, neben uns eine Blaskapelle. Ein paar Männer stehen auch schon bereit, in Lederhosen und mit Alphören in den Händen. Jippyey, Bayern olé.
Zurück und dann eine kleine Straße, die uns wieder an den Lech führt. Ich bekomme großen Hunger, langsam beginne ich zu zweifeln. Giampietro fährt dicht hinter mir oder zieht gelassen vorne weg. Sobald er einmal mit seinen riesigen Beinen zugetreten hat, ist er auch schon fast den ganzen Hügel oben. Ich hingegen merke bereits nach dreißig Kilometern wie die Muskeln anfangen vor Erschöpfung zu schmerzen (ich versuchte mit geringer Trittfrequenz schneller vorwärts zu kommen). Vielleicht liegt es ja auch daran, dass er ganze zehn Jahre jünger ist, da ist man ja noch frischer.
Nach einer Pause weitere zwanzig Kilometer, ich denke nur noch, lass mich doch bitte zurück. Doch jedes Mal, wenn ich was sagen will, fährt er vorn gerade wieder los. Ich fühle mich wie so ein Esel, der versucht, die vor dem Maul baumelnde Möhre zu erreichen. An einer Umleitungsstelle schaff ich es schließlich und sage, ey sorry, ich kann einfach nicht schneller, wir treffen uns am Campingplatz. Das lehnt er ab und da denk ich mir, tja, dann musst du jetzt mit meinem Tempo leben. Ab diesem Moment kann ich das Fahren wieder genießen.
Die Sonne scheint, die Malwen blühen. Roggen und Gerste stehen immer noch auf den Feldern.
In den Dörfern hohe, blau-weiße Maibäume, dekoriert mit den Wappen der ansässigen Handwerke.
Ein dunkler VW-Bus zieht an uns vorbei, der Beifahrer streckt den Kopf raus und streicht sich übers Kinn. Tja, so einen richtigen Rauschebart wie den von Giampietro, den sieht man hier auf dem Dorf selten. Ich sage, nimm dich immer in Acht, auch später dann im Osten. Das du so helle Haare und blaue Augen hast, ist dein klarer Vorteil.
Unter dem Ortseingangsschild von Stadel steht: Samstag Papierabholung. Sonst nichts, keine Gottesdienstuhrzeiten, kein Plakat von Dorffesten oder Konzerten. Ein paar Jugendlichen auf Traktoren winke ich extra auffällig zu, damit sie mal was erleben. Ich glaube, sie freuen sich darüber.
Wir könnten jetzt neues Trinkwasser gebrauchen, doch jeder Dorfbrunnen ist mit einem Schild versehen, dass das Wasser als nicht trinkbar ausweist. Ob es stimmt oder nur ein Haftungsausschluss ist, werden wir nie erfahren. In jedem Land, durch das ich bisher gefahren bin, habe ich problemlos öffentliche Trinkwasserstellen gefunden. Hier ist das jetzt anders, ab morgen werde ich mich mit einer zusätzlichen Flasche Leitungswasser ausrüsten.
Der heutige Campingplatz hat drei Namen: Campingplatz Landsberg am Lech, Romanik Campingplatz und Campingplatz am Schnitzelhaus. Ich erkläre Giampietro was ein Schnitzel ist, möchte er gern probieren. Es gibt neunzehn verschiedene Variationen zum Festpreis von 10,90 Euro. Alle riesengroß und serviert mit einem üppigen Haufen Pommes (und einem Salatblatt).
Ich versuche mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal Fleisch gegessen habe, ich glaube es war die frittierte Leber in Edirne (Türkei). Ist nun auch schon fast vier Monate her. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht.
Während wir essen zieht ein Sturm auf, schnell zurück zu den Zelten. Aus Faulheit habe ich meins mit nur drei Heringen befestigt, jetzt hebt es kurz vom Boden ab. Alles rein und auch die Schnüren ziehen, bevor es anfängt zu schütten.
Morgen werden wir getrennt weiter fahren, beide Richtung Norden, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten.