Halb sieben beginnt es mit gewittern. Ich nehme meine Essensvorräte und flitze zu den überdachten Sitzbänken. Den ganzen Morgen regnet es in Strömen, an eine frühe Abfahrt ist nicht zu denken.
Ein texanischer Base-Jumper fragt mich, ob ich ihn mit nach München nehmen kann, er würde mir sechzig Euro dafür geben. Aber, antworte ich, ich habe doch nur mein Fahrrad. Da lacht er und sagt, dass er es sich nochmal überlegt.
Als die Sonne wieder hervorkommt und die Sachen gepackt sind, kehre ich zurück auf die hervorragend ausgebaute pista ciclabile valle del sarca. Nach sechs Kilometern endet diese abrupt.
Am Lago di Toblino gibt es nur eine stark befahrene Bundesstraße, die in einer langen Steigung mündet. Ich versuche auszuweichen, gelange auf einen steilen Schotterweg (steil + schieben = ok; steil + loser Untergrund + schieben = Horror). Zum Glück gibt es einen Abzweig zurück auf die Bundesstraße, nehme ich dann doch lieber die knapp überholenden LKWs in Kauf.
In Vezzano ist es schließlich geschafft, es gibt wieder Nebenstraßen und separate Radwege.
An einem Obst- und Gemüsestand stehen alte Leute, die gerade viel Spaß miteinander haben. Ciao, ciao brüllen sie total verrückt und lachen sich kaputt. Was ist denn hier los, haben die Drogen genommen? Als ich nach Gurken frage, kramt der Verkäufer zwei hervor, drückt sie mir in die Hand, klopft auf meine Schulter und sagt, wie von Sinnen, danke, ciao, wir sehen uns. Ein Geschenk, äußerst freundlich, danke sehr.
Nach einigen Kilometern komme ich an einem kleinen See mit Wasserskianlage, Bar und Campingplatz vorbei. Der Weg wird wieder holprig, im Navi sehe ich, jetzt geht es im Wald über einen hohen Berg. Hinter mir dicke Wolken, in der Ferne donnert es. Mit Blick auf den Wetterbericht beschließe ich lieber abzubrechen und zurück in die Bar am See zu fahren. Eine gute Entscheidung, denn kurze Zeit später stürmt es los.
Ich lerne Luigi, einen 67-Jährigen Rentner kennen. In seinem Leben ist er nie aus seinem Dorf rausgekommen, nur als Jugendlicher, da ist er manchmal zu einer Tante nach Frankreich gefahren. Er hat auch gar keine Hobbys, höchstens mal Karten spielen oder auf einen der umliegenden Berge wandern. Jeden Tag geht er in die Bar, trinkt Rotwein und unterhält sich mit den (jugendlichen) Gästen. Obwohl es nicht wirklich Gemeinsamkeiten gibt, verstehen wir uns prächtig.
Um sieben gießt es immer noch, wir fahren zur Abwechslung mit dem Auto in eine andere Bar am gegenüber liegenden Ufer des Sees. Er würde mich gern in seinem Haus schlafen lassen, aber dafür bräuchte er die Einwilligung der Tochter und das ist schwierig.
Auf dem Campingplatz bekomme ich eine Parzelle für 23,50 Euro zugewiesen, kein WLAN, keine Sitzgelegenheiten, kein Kühlschrank, keine Waschstelle für Kleidung. Aber immerhin eine warme Dusche (heute notwendig). Inzwischen hat es aufgehört mit regnen, halb elf kuschel ich mich in den Daunenschlafsack von meiner Schwester.
Morgen soll das Wetter wieder besser werden und ich möchte zügig weiterfahren. Doch Luigi hat mich noch auf einen Ausflug zu einem anderen See weiter oben eingeladen, soll maximal eine Stunde dauern. Wenn ich um neun zur Bar komme, geht es los, ansonsten auch egal, hat er gesagt. Aber ich habe genau gesehen, wie wichtig ihm es ist, mit mir da hoch zum Lago Santo zu fahren. Ich glaube, ich nutze die Chance, früh aufstehen, alles packen, kurz Ausflug und dann weiter.