Gestern, als ich mit dem Verpacken des Fahrrades (inmitten der Mückenplage) kämpfte, sagte Luiz, einer der beiden Zweiradmechaniker „avanti!“ (vorwärts!). Ich mag es, dieses avanti, es strahlt so viel Kraft aus, treibt an und motiviert. Schade, dass es für „avanti!“ oder auch „forza!“ (Kraft) kein richtiges Äquivalent im Deutschen gibt. (Honecker-Sprech: „vorwärts immer, rückwärts nimmer“ zählt nicht.)
Ich verlasse meine Unterkunft für eine Nacht. Waren nett hier, im Frauenhaus, haben sogar flott die Versandscheine für mich ausgedruckt.
Im Fahrradladen angekommen, fragt Luiz, ob wir einen Espresso trinken gehen. Jetzt habe ich noch keine Zeit, Paket fertig machen, aber im Laufe des Tages kommen immer wieder „amici“ (Freunde) von ihm vorbei und dann geht es in die Bar nebenan. Er schließt dann einfach den Laden zu und hängt einen Zettel an die Scheibe (bin gleich wieder da).
Dieses „prendere un café“ (Kaffee trinken gehen) hat wenig mit einem sonntäglichen Kaffeekränzchen zu tun. Es ist eher ein alltägliches, kurzes Vergnügen, ein Plausch zwischendurch, in maximal fünf Minuten ist es auch schon wieder vorbei. Es zahlt einfach irgendjemand flott die ganze Runde. Auf die Idee, einen Milchkaffee (den es, wesentlich kleiner, auch gibt) oder ein Stück Kuchen (das in den Bars manchmal angeboten wird, aber nicht unbedingt zum Kaffeetrinken dazu gehört), für eine Stunde oder länger gemeinsam zu genießen, würde niemand kommen. Wahrscheinlich sind Häufigkeit, Schnelligkeit und günstige Preise die Gründe, warum es hier so unglaublich viele Bars und Cafés (die sich meistens kaum unterscheiden) gibt. Wenn ich Italien verlasse, werde ich sie vermissen.
Ich warte auf den Lieferdienst, hab ja ein Smartphone, da ist es nie langweilig. Das Paket ist etwas zu groß geworden, 190 cm Gurtmaß waren einfach nicht drin. Hoffentlich wird die Nachzahlung nicht allzu hoch. Der Schatten im Innenhof wandert von einer Seite zur anderen, es ist schon halb vier. Im aktualisierten Sendungsbericht entdecke ich: Absender an Adresse nicht auffindbar. Oh nein. Ich sehe einen Lieferwagen von dpd, laufe hinterher, es ist der falsche. Rufe beim Speditionsunternehmen (das mit dpd kooperiert) an. Sie ergänzen den Namen des Fahrradladens, morgen kommt dpd wieder vorbei. Ich jedoch möchte endlich weiter, raus aus Verona Richtung Gardasee.
Luiz und Eder sind bereit, das Paket morgen zu übergeben. Bedanken mit Wein und was in die Kaffeekasse, Selfi und los geht’s.
Entlang eines Kanals, der bis wenige Zentimeter unterhalb der Mauer gefüllt ist, geht es auf einem Radweg zehn Kilometer geradeaus. Viele Radfahrer*innen und Läufer*innen, auf der rechten Seite Kiwi-, Zitronen- und Apfelplantagen. Am Horizont hohe Berge.
Der Campingplatz in Nähe einer Bundesstraße (leider in der nächtlichen Stille zu hören) ist integriert in eine fattoria didattica (Lehrbauernhof). Viele junge Erwachsene, die fast alle aus den Niederlanden kommen (Zelt und Auto statt Wohnmobil).
Mit Wein umrankte, beleuchtete Sitzplätze, wenig Mücken, Wlan, Kühlschrank und Mikrowelle, gefällt mir.
Ich schaue nach Routen und Campingplätze für die nächsten Tage und entscheide ohne fixe Routen und Haltepunkte loszufahren, am Gardasee nach Norden und dann nach Bozen, weiter nach Insbruck. Es erwarten mich einige Tage in einer der am meisten radtouristisch ausgebauten Regionen in ganz Europa.