Halb zwei fahre ich in Rimini los. Das ist spät, vielleicht zu spät für 95 Kilometer. Wenn man sich überwiegend selbst versorgt, dann kostet das Zeit. Aber es lohnt sich. Die volle Auswahl von hervorragendem Essen, jeder Zeit griffbereit in einer Tasche.
Vor der Reise hatte ich Bedenken, dass es ohne Kochen und gewohnte Zutaten schwierig werden könnte, Leckeres und Gesundes zu finden und/oder zuzubereiten. Heute weiß ich: gar kein Problem. Im Gegenteil, es kommen immer wieder neue, interessante und leckere Lebensmittel. Egal ob im Supermarkt, an Ständen oder in kleinen Geschäften, es ist nur wichtig neugierig und offen zu bleiben. Weil wenn man etwas ganz bestimmtes sucht, dann findet man es meistens nicht (oder in keiner guten Qualität).
Dafür anderes, was meistens überraschend gut schmeckt. Hier oben, in der Emilia–Romagna zum Beispiel, liegen im Kühlregal dicht gedrängt viele verschiedene Pecorinisorten. Die sind alle verschieden und nur ein bis zwei sind von der Konsistenz her so wie der parmesanähnliche Hartkäse, den man auch aus Deutschland kennt. Vielleicht liegt es auch an der Bewegung und frischen Luft: auf jeden Fall ist Essen auf der Reise für mich ein weitaus intensiveres, umfassenderes und genussvolleres Erlebnis als jemals zuvor.
Zwischen Rimini und Bologna ist es fast komplett flach, keine größeren Steigungen. Und so komme ich zügig voran. Wenn das schwere Fahrrad in der Ebene erstmal rollt, ist es kein Problem kontinuierlich mit über 20 km/h zu fahren. Auf der Bundesstraße ist am Sonntag nur wenig Verkehr. Dreißig Grad, leichter Wind, kein Regen. Optimale Bedingungen.
Abweichend vom Vorschlag der Navigation fahre ich immer mitten durchs Zentrum der sich an der schnurgeraden Via Emilia befindenden Städte.
Sehr oft gibt es straßenbegleitende Radwege. Die sind zwei Meter breit, auf einer Ebene mit der regulären Straße und von dieser baulich durch einen Bordstein getrennt. Man sollte meinen, dass ich mich über dieses Angebot freue. Ist aber nicht so, weil sie immer Geschwindigkeit rausnehmen. Sie sind meistens in einem viel schlechteren baulichen Zustand als die glatt asphaltierten Straßen, Fußgänger laufen darauf und an jeder Abzweigung machen sie eine extra Kurve. Manchmal enden sie im Nichts, dann heißt es abbremsen und vorsichtig den Bordsein nehmen. Trotzdem fühle ich mich verpflichtet, sie zu benutzen. Es ist ein Elend mit der Verbannung der Radfahrenden auf separierte Rad- und Fußwege, ein Hoch auf Fahrradstreifen.
Vor allem die Arkadengänge gefallen mir sehr, sieht schon fast ein bisschen wie in der Schweiz aus.
Die Schornsteine der Häuser sind in dieser Region alle oben abgedeckt, teilweise richtige kleine Dächer auf Stelzen, das sieht niedlich aus.
Ich durchquere zahlreiche Kiwiplantagen bevor ich die Hauptstraße verlasse, um zu einem Hof zu gelangen, bei dem ich heute zelten möchte.
Während die Sonne untergeht, verfahre ich mich einige Male. Holperweg, dann falsche Richtung, kein Hinweisschild an der Straße. Erst um neun erreiche ich nach 98 gefahrenen Kilometern den „Farm Stay Italy“.
Nur, teilt man mir mit, ist zelten nicht möglich, das Zimmer kostet 35 Euro die Nacht. Na toll. Es gelingt mir runterzuhandeln auf 20 Euro, jetzt ohne Frühstück (hab ja alles).
Das Zimmer und das Bad, wunderschön, in Eigeninitiative und kreativ renoviert. Küche kann ich auch nutzen.
Morgen Nachmittag kommt Olaf im jetzt noch 30 Kilometer entfernten Bologna an. Am Mittwoch dann Treffen mit meiner Schwester und Familie. Nach hundert Tagen allein unterwegs, bin ich schon etwas aufgeregt.