Am Morgen forme ich brav aus dem Laken einen Wäscheball. Fülle die Wasserflasche auf und stelle das Gepäck in eines der Schließfächer.
Vorher habe ich noch mit Luc, meinem Zimmergenossen gefrühstückt.
Er ist schon in Afrika, Südamerika und Asien Rad gefahren. Ein alter Hase im Langzeit-Radreisen. Vieles wiederholt sich, sagt er. Das kann ich gut nachvollziehen, immer wieder antike Grabungsstätten, Burgen, Bars und Pizzerien. Dann, sagt er, kann er auch schnell weiterfahren. Das wiederum kann ich nicht bestätigen. Fast überall könnte ich ewig bleiben, ein bisschen rumsitzen, fotografieren, mit Leuten quatschen. Das Losfahren, das kostet immer Mut und Überwindung. Aber dann ist es schön. Denn irgendwie kommt ja doch immer wieder etwas Neues.
Die kleine Stadt San Marino (4.046 Einwohner*innen) befindet sich oberhalb einer steilen Felswand. Dorthin gelangt man mit einer Seilbahn oder, auf der anderen Seite des Berges, über eine vierspurige Serpentinenstraße.
Auf dem Weg nach oben durchquere ich eine Siedlung, mit kleinerem Marktplatz, Kirche und Arkadengängen. Zweistöckige, bunte Häuser schmiegen sich an den Hang.
Es gibt auch ein naturgeschichtliches Museum, Eintritt frei.
Zu sehen sind in Gestein eingeschlossene Haifischzähne, glitzernde Kristalle und ausgestopfte Füchse und Hasen. Außerdem sehr viele Vögel aus der ganzen Welt.
Kurz vor San Marino Stadt sind vierzehn Parkplätze ausgeschildert, brauch ich ja zum Glück nicht.
Am Eingangstor ein Verkehrspolizist, der passt hier auf, dass die Autos auch wirklich am Zebrastreifen für die Fußgänger*innen anhalten. Irgendwie muss ja das ganze Geld ausgegeben werden, San Marino gehört zu den reichsten Ländern der Welt und hat keine Staatsschulden.
Hinter der Stadtmauer mit Steinquadern oben drauf (sieht sehr mittelalterlich aus), reihen sich in den autofreien Gassen Parfümerien, Schmuck- und Waffenläden aneinander. Staatliches Museum, Foltermuseum, Kuriositätenmuseum, Vampirmuseum, Wachsmuseum, stadtgeschichtliches Museum.
Ich schließe das Fahrrad an, setze mich auf eine Bank und genieße für eine halbe Stunde das Nichtstun. Genau die richtige Temperatur heute, 26 Grad, leicht bewölkt, herrlich. Es riecht nach Frittiertem, ich habe Hunger. Ich könnte mir jetzt eins von diesen Pizzastücken für 1,50 Euro oder auch ein Eis für 2 Euro holen. Aber irgendwie stößt mich dieses ganze Touri-Fastfood inzwischen komplett ab und für einen richtigen Restaurantbesuch bin ich zu geizig. Ich beschließe, einfach mal nichts zu essen. Ab und zu soll das ja auch ganz gesund sein.
Ganz oben gibt es drei Burgen, um sie von innen zu sehen, muss man Eintritt zahlen.
Ich habe heute vor allem Lust auf etwas leicht unterhaltsames, mit der Besucherkarte aus dem Hostel bekomme ich 50% Nachlass im Kuriositätenkabinett (4 Euro).
Über drei Stockwerke werden Wadenpolster, Tassen für Schnauzbartträger, Keuschheitsgürtel, Figuren von den kleinsten, größten, dicksten und dünnsten Menschen der Welt ausgestellt. Richtig viel Quatsch und unnötiges Wissen mit dabei.
Ich fahre wieder runter, finde den im Hostel angekündigten Supermarkt nicht, esse ein paar Nüsse und belade das Fahrrad. Nur 20 Kilometer bis zum Hostel in Rimini.
Hinter mir die Felswände von San Marino, sieht toll aus, aber gegen die Sonne fotografiert, wird das kein besonders schönes Bild.
An der schmalen, wenig befahrenen Straße reihen sich Mirabellensträucher aneinander, kann ich gleich welche pflücken.
Unten der Küstenstreifen, komplett besiedelt und voller moderner, kleiner und großer Häuser mit Balkonen dran. Auf einer nur anderthalb Meter breiten Straße, die durch eines der Dörfer mit Tomatenfeldern führt, zwitschern und flattern Spatzen. Ein Flugzeug einer russischen Airline setzt über mir zur Landung an.
Ich hätte erwartet, dass es im Hostel von jugendlichen Partygängern nur so wimmelt. Aber nichts da, auf den Zimmern ist Alkohol und laute Musik verboten, einige haben bereits um die Augen Falten und leicht melierte Bärte. Ich werde angelächelt und frage mich, was es hier denn zu grienen gibt.
Als ich bei Google Maps nach einem nächsten Supermarkt suche, sehe ich die ganzen Hotels, Clubs, Strände, Restaurants und Schönheitssalons, die sich hier an jeder Ecke finden. Zu Fuß mache ich mich auf zum Einkaufen und komme an einer Piadina, in der gerade kleine Fische auf den Grill gelegt werden, vorbei. Sieht gut aus, das möchte ich nachher essen.
Als ich mit meinen Einkäufen zurückkomme, sind alle Plätze belegt. Eine Familie geht, ich stelle schnell meine Einkäufe auf einen der Stühle, der Grillmeister passt auf und ich reihe mich in eine lange Schlange ein. Als ich dran bin, teilt man mir mit, die Sardoncino-Piadine sind ausverkauft. Die Wartezeit für eine Piadina mit gegrilltem Gemüse beträgt 40 Minuten. Enttäuscht und hungrig setze ich mich hin, habe die Nummer 89. Der Grillmeister muntert mich auf, erst mit ein paar der kleinen Fische, dann mit Scherzen und anschließend mit einem kleinen Freibier. Da geht’s mir gleich ein bisschen besser.
Irgendwann kommt mein Essen, die Angestellten haben inzwischen nicht mehr viel zu tun und setzten sich bei mir mit an den Tisch. Die Gespräche drehen sich ums Paddeln auf dem Meer, den Sommer und die Touristen. Rimini, sagen sie, hat zwei Gesichter. Den Winter, da ist es wie im Dorf, und den Sommer, da ist immer richtig viel los.
Carabinieri tauchen auf, einer sagt, sie suchen einen „tief“. Wenn man englische Wortfetzen von Italiener*innen (oder Spanier*innen) nicht versteht, kann man es zunächst mit dem Einsatz eines stimmhaften oder stimmlosen th-Lautes versuchen, meistens kommt man dann drauf. Hier wird jedenfalls ein „thief“ (Dieb) gesucht.
Auf dem Rückweg gönne ich mir, weil ich richtig Appetit darauf habe, ein Crêpe. Der ist leider nicht ganz so lecker, viel zu viel Nutella drauf. Bei den Süßspeisen sollte man in Italien darauf gefasst sein, dass sie es vor allem mit Schokocreme echt übertreiben.
Im Frauenschlafsaal sind meine beiden Zimmergenossinnen noch munter, draußen wird Happy Birthday gesungen und über die nahen Gleise rauschen S-Bahnen vorbei. Ich denke zurück an den humorvollen Grillmeister, wie er auf einen Gast zeigte und sagte, als der hier ankam, da hatte er noch schwarze Haare (sie waren weiß meliert). Solche Begegnungen versüßen einem wirklich das Leben.
Morgen werde ich nicht weiter fahren, habe schließlich noch bis Montag Zeit, um bis nach Bolognia (120 Kilometer) zu kommen. Und ich brauche mal wieder einen richtigen Ruhetag ohne großartige Unternehmungen.