Ein zweites Mal überquere ich den Apennin, einen Gebirgszug, der die ganze italienische Halbinsel durchzieht. Dank Serpentinen und Flusstälern war es bisher angenehmer als von Matera nach Eboli. Aber die richtigen Steigungen, die kommen noch.
Heute Nacht habe ich neun Stunden geschlafen. Rekord, meist waren es bisher um die sechs, manchmal noch weniger. Jetzt erwartet mich ein ganzer Tag ohne Müdigkeit, vielleicht komme ich da ja schneller vorwärts?
Ganz in der Nähe befindet sich das Naturschutzgebiet „Gola del Furlo“. Dort fließt der kleine, türkise Fluss, an dem ich geschlafen habe, durch einen Canyon. Liegt aber leider nicht auf meiner Strecke, ich fahre erst ein Stück zurück und dann über die Berge nach Norden.
Der Wald, den ich durchquere, ist bunt gemischt. Dicht nebeneinander wachsen Bergahorn, Eschen, Linden, Buchen, Eichen, Holunder, Zypressen, Kiefern, Lärchen und viele, viele andere Baum- und Kletterpflanzenarten.
Am Straßenrand bunte Blumen, Minze und Zitronenmelisse. Von den beiden letzteren nehme ich ein bisschen was mit, kann ich entweder direkt mit Obst essen oder einen Tee machen.
Abgesehen davon, dass es nun gelegentlich wieder so steil ist, dass ich schieben muss, sind die ersten zwanzig Kilometer sehr schön. Wenig Verkehr, zwitschernde Vögel, ein kühlender Wind und die Sonne verschwindet ab und zu hinter Wolken.
Als ich Urbino erreiche, staune ich. Das ist aber eine hübsche Stadtkulisse.
Die Türme sehen ja wie Minarette aus.
Ich gehe für einen Espresso in eine Bar und lese nach. Urbino ist wegen seiner Architektur und Geschichte Teil des Weltkulturerbes. Das direkt vor mir ist der Herzogliche Palast (Palazzo Ducale) und dort gibt es eine der bedeutendsten Sammlungen der italienischen Renaissancemalerei weltweit. Schon witzig, wie ich hier rein zufällig auf Sehenswürdigkeiten stoße.
Es beginnt leicht zu regnen, in der Ferne donnert es.
Am Nebentisch spielen Männer Karten. Sie sagen, das ist senza un morto. Ein anderer jedoch meint, nein, das ist Briscola.
Plötzlich fängt es heftig an zu stürmen und zu gewittern, Äste und Werbeaufsteller fliegen durch die Gegend. Zwei Rennradfahrer schaffen es gerade so sich bereits klatschnass in die Bar zu retten. Zwei Deutsche, aus der Nähe von München, die Samstag Nacht Richtung Rom gestartet sind. Sie haben nichts weiter mit als einen kleinen Rucksack und fahren am Tag über 200 Kilometer. Sehr neugierig fragen sie mich aus, über Gewicht, Streckenlängen, Zeitpläne und Organisation. Sie zollen mir großen Respekt, so ganz allein auf so einer langen Reise und mit diesem Gewicht hier über die Berge. Das finde ich wiederum merkwürdig, weil, ich mein, 200 Kilometer täglich sowie die Beschränkung auf ganz wenig Dinge, das ist doch die sportliche Leistung. Als sie losfahren, regnet es noch immer. Sie wollen heute schließlich noch mindestens 50 Kilometer fahren.
Ich würde auch gern weiter, aber bis San Marino sind es über 40 Kilometer mit 1.100 Höhenmetern, das schaffe ich nicht. Dazwischen keine günstigen Übernachtungsmöglichkeiten, heute nacht und morgen früh soll es wieder gewittern. Ich buche ein Zimmer direkt in der Nähe.
Noch ein Spaziergang in der Altstadt. Die Häuser genauso unverputzt wie in Gubbio. Aber hier keine Natursteine, sondern flache Backsteine, die sogar zum Pflastern der Gehwege verwendet wurden.
Schöne Straßenlampen haben sie hier, weiße Glaskugeln an den Häuserwänden.
Als ich das Fahrrad eine Straße hochschiebe, kommt eine Nonne auf mich zu und möchte mir helfen. Nächstenliebe kennt eben keine Grenzen.
Obwohl Urbino eine Universitätsstadt ist, ist überraschend wenig los. Vielleicht sind sie ja alle schon in den Ferien oder das Gewitter hat sie vertrieben. Auch das Museum hat schon zu und so fahre ich etwas enttäuscht zum Hotel.
Den Abend verbringe ich mit Putzen und Färben. Nach zwei Monaten Dauereinsatz sind mein Merinoshirt und die Sporthose voller heller Flecken, verblichen von der ganzen Sonne.
Die Ankunft von Olaf jetzt verschoben auf Anfang nächster Woche. Ich hoffe darauf, dass es morgen Mittag nicht mehr regnet und/oder gewittert, damit ich in die vermutlich älteste Republik der Welt weiterfahren kann.