Wenn Gastgeber oder Unterkünfte sagen, dass man sich wie zu Hause fühlen solle, dann klappt das ja meistens doch nicht. Es ist und kann niemals das gewohnte Umfeld sein und ein gewisses Schamgefühl verhindert, sich in den fremden Räumen allzu sehr gehen zu lassen. Hier in Rom, in dieser WG, versuche ich mich auch rücksichtsvoll zu verhalten. Aber ich fühle mich dabei so wohl und gut aufgehoben, wie schon lange nicht mehr. Das letzte Mal in Istanbul, bei Eray, da war es genauso. Sich frei in einer Wohnung bewegen und dabei das Gefühl haben, alles sagen und ausdrücken zu können. Wenn notwendig oder auch einfach nur weil wir gerade Lust darauf haben, switchen wir von italienisch zu englisch und zurück. Mich erstaunt immer wieder, wie unabgesprochen und fließend das funktioniert. Ich kann mich hier gut ausruhen, ordnen und neue Kräfte für die Bergfahrten in den nächsten Tagen sammeln.
Schlafen, putzen, den Ersatzschlauch flicken, einkaufen, Haare färben. Ich fahre zu einem Campingausrüster, der leider doch nicht die Gaspatrone hat, die ich brauche.
Zufällig komme ich dabei an einem Hausprojekt, dem Porto Fluviale, vorbei.
Schon 16 Jahre sind die ehemaligen Kasernen besetzt, inzwischen wohnen überwiegend Familien hier. Später erzählt mir Michele, dass es sehr viele besetze Häuser in Rom gibt, auch einige noch viel größere. Sie bieten Workshops an, organisieren Konzerte und sind ein sozialer Anlaufpunkt in der Großstadt. Der neue Innenminister Italiens, Salvini, von der Lega Nord möchte diese „natürlich“ räumen lassen, weshalb am 22. Juni eine große Demonstration aller Hausprojekte stattfand.
Statt Spätshops findet man in jeder italienischen Stadt, ja selbst in den meisten Dörfern, türlose Räume mit Snackautomaten.
Es ist interessant zu sehen, wie diese regional angepasst gestaltet wurden.
Am Abend fahren wir mit dem Fahrrad in die Altstadt und ich kann nochmal die ganze Schönheit der Ruinen und alten Gebäude bewundern.
Aber auch den gnadenlosen Kommerz, der hier auf Kosten der Bewohner*innen und der Umwelt betrieben wird.
So sind zum Beispiel die Türen und Fenster der klimatisierten Läden und Restaurants geöffnet, auf das jede*r sehe und eintrete und all die kühle Luft entweiche. Eine Bewegung wie Fridays for Future, sagt Michele, gibt es in Italien (noch) nicht. Er schätzt ein, dass es in Deutschland generell etwas mehr Sensibilität gegenüber Umweltthemen gäbe.
Wir gehen in eine Prosciutteria, in der einer der Mitbewohner arbeitet.
Beim opulenten Essen unterhalten wir uns unter anderem über Lecce. Obwohl es eine wunderschöne Stadt ist, möchte dort eigentlich niemand hinziehen. Zu wenig und wenn dann schlecht bezahlte Arbeit, viel zu viele familiäre Verflechtungen, zu viel Mafia. Wenn man sich etwas aufbaut, einen Laden eröffnet oder ähnliches, kommt die Mafia (sobald man ein wenig Geld verdient) früher oder später vorbei und verlangt Schutzgeld. Das ist nicht nur frustrierend, sondern hält junge Menschen auch davon ab, sich überhaupt selbstständig zu machen. Die Mafia ist immer noch neben dem Ignorieren von (Arbeitsschutz)gesetzen durch Arbeitgeber*innen, eins der größten Probleme in Italien.
Kurz vor Mitternacht fahren wir zurück, halb zwei schlafe ich ein. Etwas spät, dafür dass ich morgen eigentlich 78 Kilometer und 1.000 Höhenmeter fahren möchte. Vielleicht sollte ich nochmal umplanen.