Heute fahre ich. Insgesamt 106 Kilometer bis nach Rom Trastevere. Ich verlasse das Meer und fahre am Riserva Statale Piscina delle Bagnature, einem Naturschutzgebiet, vorbei. Um die Stämme der hohen Eukalyptusbäume winden sich unzählige Kletterpflanzen. Wie dicht, verschlungen und kühl der Wald auch hier unten im Süden ist, wenn man ihn wachsen lässt.
Es folgen Pinienalleen in denen die Grillen zirpen und die mir wohltuenden Schatten spenden. Es gibt viele schöne Bäume hier, aber am meisten gefallen mir immer noch die duftenden Pinien mit den hohen, flachen Kronen.
Weil es langweilig ist, den ganzen Tag nur zu fahren, höre ich zwischendurch Podcasts an. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse und Antritt, eine Sendung übers Radfahren von Detektor FM. Unter anderem gibt es in der Juni-Ausgabe ein Interview mit einer Radfahrerin, die dieses Jahr beim Radrennen Paris-Brest-Paris mitfahren möchte. Insgesamt 1.200 Kilometer mit 10.000 Höhenmetern, wohlgemerkt an einem Stück. Sie sagt, wichtig sei beim Langstreckenfahren vor allem die mentale Stärke. Und nachts dürfe man niemals aufgeben, denn im Morgengrauen sieht alles schon wieder ganz anders aus. Auch wenn ich weit entfernt bin von solchen extrem langen und anspruchsvollen Fahrten, kann ich das gut nachvollziehen. Oft denke ich, dass ich nicht mehr weiter fahren kann, und wenn ich es dann doch tue, dann geht es irgendwie. Kilometer um Kilometer.
Die Landschaft um mich ist vor allem landwirtschaftlich geprägt, Gewächshäuser, Felder und Plantagen wechseln einander ab. Mir kommen einige Radfahrende entgegen. Da sind die sportliche Rennradfahrer*innen einerseits und die langsam fahrenden Feldarbeiter*innen andererseits. Ich denke, es sind wahrscheinlich vor allem Pakistani und/oder Inder, die hier in der prallen Sonne das Unkraut zupfen.
Den ganzen Tag höre ich es kaum hupen. Das ist sehr merkwürdig, mir scheint fast, ich habe eine magische „Ich-hup-mal-um-zu-Grüßen-Grenze“ überschritten.
An einer Schnellstraße biegt ein LKW sehr knapp vor mir rechts ab, was mir einen ordentlichen Schreck einjagt. Ich nehme mir vor, ab jetzt wieder vor jeder Einfahrt nach hinten zu schauen und notfalls auch anzuhalten. Es gibt sie ja doch immer wieder, die Idioten, die in Auto, Bussen und LKWs sitzend Radfahrende komplett ausblenden und dann eines Tages zu Tode fahren.
Als es nur noch 16 Kilometer bis zu meiner Zieladresse in Rom sind, tauchen die ersten Häuser auf. Eine Frau hält an und kurbelt die Scheibe runter. Sie möchte sich einfach nur kurz unterhalten, findet sie gut, wie ich hier so unterwegs bin.
In Rom kann ich bei Michele übernachten, den ich noch aus Lecce kenne und den ich 2008 in Kopenhagen besucht habe. Viele Erinnerungen habe ich nicht mehr daran, ich glaube, wir waren in Christiania.
Gemeinsam mit seiner Freundin, Federica, sitzen wir lange zusammen und ich lerne einige interessante Veranstaltungen und Aktionen kennen. Die Ciemmona, eine große Fahrrad-Kulturveranstaltung, die gleich an drei aufeinanderfolgenden Tagen stattfindet. Graziano Cecchini, der die Fontana di trevi rot färbte und die Scalinata di Piazza di Spagna mit Plastikbällen überschüttete. Und Federica selbst, kreiert digitale Kunst, ein Mix aus bekannten Werken und eigenen Fotografieren. Damit ist sie, obwohl sie erst vor anderthalb Jahren und nur aus Spaß damit begonnen hat, ziemlich erfolgreich.
Der Abend mit Wein und Sportzigarettchen ist lang, zum Glück ist morgen erstmal der einzige Tagesordnungspunkt Ausschlafen.