Heute heißt es früh aufstehen und zügig packen, damit ich die Fähre um 9 Uhr erreiche. Nachdem das Zelt unter den Platanen abgebaut ist, finde ich im Waschbecken einen etwa fünf Zentimeter großen, schlanken Käfer mit ganz langen Fühlern. Unter der Zuhilfenahme des IPhones rette ich ihn schnell aus seiner Falle, den Schönen.
An der Rezeption stelle ich fest, dass ich meinen Seidenbeutel mit Ausweis und Kreditkarte verloren habe. Ich fahre zurück. Ein Angestellter hat alles schon gefunden, was für ein Glück, dass er ein ehrlicher Finder ist.
Noch kann ich es zur Fähre schaffen und ich rase los zum Hafen. Fünf vor neun hole ich mir das Ticket und kurz bevor sich die Klappe schließt, schiebe ich das Fahrrad in den Bauch des Schiffes.
In Pozzuoli treffe ich auf Beate aus dem Ruhrgebiet, die hier auch allein mit dem Reiserad unterwegs ist. Gleich wird sie mit der Fähre nach Ischia absetzen.
Ich fahre zurück zur Wasserstelle von gestern und esse ein Cornetto.
In einer kleinen Bäckerei habe ich sogar eine Vollkorn-Version dieses wohl beliebtesten, aller italienischer Gebäcke gefunden.
Ich packe das Fahrrad ab, um die Bremsen, deren Belege schon wieder zu weit von der Scheibe entfernt sind, neu auszurichten. Mir kommt dabei ein Mann zur Hilfe, der umgehend das System versteht und auch erstaunlich gut einschätzen kann, ab welchen Punkt die Backen gleichmäßig anziehen. Und so geht das neu Justieren auch ganz schnell.
Emanuele ist schon sechzig und hier, weil seine Enkel in der Nähe die Sommerschule besuchen (davon sehe ich später auf dem Weg viele). Gerade eben haben die Kinder auf einer Parkbank einen kleinen Flohmarkt aufgebaut. Das Geschäft brummt zwar nicht, aber sie haben durchaus Kunden.
Emanuele gehört zu den ängstlicheren, besorgten Menschen. Ich soll niemanden vertrauen und vor allem soll ich unter keinen Umständen in Montragone anhalten. Er ist, das merkt man, ein sehr guter, hilfsbereiter Mensch. Eine schöne Begegnung, zum Abschied umarmen wir uns.
Kurze Zeit später sehe ich, was Emanuele schon angekündigt hat. Eine lange, schnurgerade Straße an der viel Müll liegt. Links führen kleine Wege zum Lido xy und rechts wechseln sich Bars mit Billig-Restaurants und -Hotels ab. Fast alle Menschen, denen ich begegne sind dunkelhäutig. Am Straßenrand stehen Prostituierte. Eine hat das Oberteil so weit runtergezogen, dass man die Nippel sieht.
Halb drei biege ich in eine der Seitenstraßen ein und gelange an einen langen Sandstrand mit Liegen und Schirmen. Ich lege mich auf eine der beschatteten Bänke und schreibe den Beitrag zum Vortag. Niemand spricht mich an oder fragt, was ich hier mache.
Kurz nach fünf fahre ich weiter. Ich rechne: wenn ich jetzt drei Stunden durchfahre, dann kann ich mindestens 45 Kilometer zurücklegen. Inzwischen ist es bewölkt und es regnet sogar kurzzeitig. In der feuchtwarmen Luft komme ich auf der von Schilf gesäumten Schnellstraße gut voran.
Kurz hinter Montragone, vor dem mich Emanuele so gewarnt hatte, geht es plötzlich schwerer und ich stelle fest: Platten. Alles abpacken, Hinterrad raus, neuen Schlauch rein, Mantel wieder drauf.
Mit der kleinen Luftpumpe kann ich grad so viel Luft aufpumpen, wie nötig ist, um überhaupt weiter fahren zu können. Schweißgebadet tuckel ich bis zur nächsten Tankstelle, an der ich vollständig aufpumpen kann. Gleich wird es dunkel und ich beschließe, die jetzt abnehmende Hitze zu nutzen und bis hinter Formia durchzufahren. Dafür gönne und buche ich mir ein Zimmer kurz hinter der dreißig Kilometer entfernten Stadt. Vor mir tauchen wieder hohe Berge auf, aber meine Strecke ist zum Glück überwiegend eben. Zufällig gelange ich wieder auf die Via Appia, auf der ich schon einmal in Richtung Potenza gefahren bin. Kurz vor Formia entdecke ich am Straßenrand, was ich schon lange nicht mehr gesehen habe: einen Dönerladen (geh aber nicht rein).
Um 23 Uhr erreiche ich die Unterkunft. Eine traumhafte Dusche, etwas essen, Wäsche waschen, Fotos durchsehen. Um zwei schlafe ich in einem wunderbar weichen, sauberen Bett ein.