Als ich um 7.30 Uhr losfahre, da haben die Pescherie (Fischläden) und Frutti e Verdure (Obst- und Gemüseläden) alle schon offen. Auf der Hauptstraße, an der sich ein Haus und ein Laden an den andern reiht, fahre ich die ersten zehn Kilometer in Richtung Napoli. Um diese Uhrzeit ist Berufsverkehr, richtig was los.
In Torre de Greco, wo ich zur Visuvauffahrt abbiege, gibt es wieder diese mit großen, rechteckigen Lavasteinen gepflasterten Straßen (die ich gestern schon in Pompei gesehen habe).
Das huckelt dermaßen, dass sich das Navi aus der Befestigung löst und über die Straße schlittert. Aber nichts passiert, alles noch ganz.
Bis zum Kraterbereich sind es zehn Kilometer bergauf. Moderate Steigung, mäßiger Verkehr und gelegentlich sogar Schatten, so lässt es sich fahren. Außerdem habe ich heute nur leichtes Gepäck mit. Eine Fahrradtasche mit Essen, Wasser und windfester Kleidung. Als ich damals mit meinem Vati im Frühsommer auf dem Ätna war, da haben wir schrecklich gefroren. Das möchte ich diesmal auf jeden Fall verhindern.
Hinter mir tauchen Mountainbiker auf. Na nu, die sind aber ganz schön schnell, dafür das sie einige Kilo zu viel auf den Rippen haben. „Next time an E-Bike?“, sagt der Tourguide. „Äh, noooo, why?“ Daraufhin beginnt dieser sich über mich lustig zu machen, ich soll ihm jetzt mal folgen. Na gut, sagt er, dann sehen wir uns eben morgen auf dem Gipfel wieder. Ich ärgere mich und, als sie schon hinter der nächsten Serpentine verschwunden sind, rufe ich ihnen hinterher: „What is the problem about being slow?!?“ Jemand antwortet, aber ich kann es nicht mehr verstehen. Nach einer Weile geht mir auf: der brauchte mich um seine Tour zu rechtfertigen. Ja, wo kommen wir denn hin, wenn hier jede*r einfach so mit einem stinknormalen Rad ganz allein zum Vesuv hochfährt?
Um etwas zu verkaufen, wird auf die Bequemlichkeit, Angst und Ungeduld der Menschen gesetzt. Das darunter die Umwelt und die eigene Gesundheit leiden (weil der Kreislauf nie wirklich in Schwung kommt): egal.
Wenn mir zu warm ist oder es zu anstrengend wird, dann halte ich im Schatten an. Trinke etwas, esse das gestern vorgeschnittene Obst und Gemüse aus der Tupperdose, mache ein paar Fotos. Genieße das Zwitschern der Vögel und die bunte Blumenvielfalt auf schwarzem Lavagestein. Die Bäume sind an den Stämmen alle ein bisschen verkohlt. So geht es langsam, aber Stück für Stück nach oben.
Weit unterhalb des Kraters dürfen die Privatautos nicht mehr weiter, sondern müssen sich für sechs Euro am Straßenrand in die pralle Sonne stellen. Nun habe ich nur noch Busse, ein paar Privatautos mit Sondererlaubnis, die Mopeds und Fußgänger zur Begleitung. Alle strömen auf den Ticketschalter zu, wo es eine Eintrittskarte für zehn Euro gibt. Bei den Souvenirsständen, Dixiklos und Rettungswagen ziehe ich mir festes Schuhwerk an und schließe mein Fahrrad inklusive Radtasche am Geländer an. Ab jetzt geht es über einen Schotterweg zwanzig Minuten steil nach oben zum Krater.
Statt warmer Kleidung hätte ich lieber mein Kopftuch mitnehmen sollen, denn die Sonne, die brennt gewaltig. Der Vesuv ist eben auch nicht der Ätna, im Gegensatz zu jenem (3.323 m) ist dieser nur 1.281 m hoch.
Der Weg führt mitten durch einige Stände, an denen Schilder umweltfreundliche, plastikfreie Produkte versprechen. Aber was genau hier nachhaltig sein soll, kann ich nicht erkennen. Fertigeis, Kaltgetränke, Chips und Schokoriegel: die Kinder, die freuen sich, und quengeln den Eltern die Ohren voll.
Der Krater, ein tiefes, schwarzes Loch aus gehärtetem Stein, Schutt und Asche.
Ich bin etwas enttäuscht, denn es riecht weder nach Schwefel, noch qualmt oder raucht es irgendwo.
Aber die Aussicht auf die Bucht von Neapel, auf Ischia und Capri, wirklich sehr schön.
Seit dem letzten Ausbruch von 1944 befindet sich der Vesuv in einer Ruhephase.
Als aktiver Vulkan kann er jedoch jederzeit wieder Asche und Schlacke auf die umliegende, komplett besiedelte Landschaft spucken.
Auf den Bänken am Ticketschalter esse ich Mittag, Brot mit Käse und Tomaten, wirklich sehr lecker. Es gibt zwar kein Handynetz, aber LTE.
Nach der entspannenden Fahrt nach unten suche ich in Ercolando eine Bar. Aber wie das so ist, wenn man etwas bestimmtes sucht, dann findet man es oft nicht gleich. Ich fahre durch kleine Gassen, die gruslig sind, so verrottet, alt und verdreckt.
Stromleitungen und Wasserzähler sind direkt über dem bröckelnden Putz verlegt und auf den Gehwegen stapelt sich so viel Müll, das niemand sie benutzen kann. Später sehe ich, es gibt auf Parkplätzen große Müllcontainer, da fahren die vorbildlicheren Einwohner*innen mit dem Auto vor und werfen ihren Müll rein.
Ich lande schließlich in einem Schnellrestaurant gleich neben den Ausgrabungsstätten von Herculaneum und bestelle ein kleines Peroni (kostet drei Euro). Da fahre ich noch ein Stück weiter, in eine Pasticceria und hol mir wieder einen Espresso für 70 Cent, einfach nur, um in Ruhe rumsitzen zu können und die Nachmittagshitze vorübergehen zu lassen. Die Auslandskrankenversicherung verlängern, bis 15. August. In Napoli reserviere ich ein Bett im 4er-Frauenschlafsaal. Ich wähle ein Hostel, das mir von den Bewertungen her relativ sicher und sauber erscheint, und zahle dafür fünf Euro mehr (jetzt: 30 Euro für zwei Nächte).
Ich fahre zurück zu den Ausgrabungsstätten und stelle das Fahrrad mit Taschen direkt unter die Überwachungskamera.
Der Leitfaden zur Besichtigung von Herculaneum weist 47 Gebäude aus. Ganz schön viel dafür, dass nur ein kleiner Teil dieser antiken Stadt ausgegraben wurde. Aber immer noch viel kleiner als das benachbarte Pompei, das zum Ausbruch des Vulkans 79 n.Chr. zwischen 8.000 und 10.000 Einwohner*innen hatte.
Doch auch in der Hafenstadt gab es alles, was ein römischer Bürger schätzte: Tavernen, um zu Mittag zu essen, ein großes Palästra zur Körperertüchtigung, zahlreiche Handwerksbetriebe wie Schmied und Tuchmacher, Tempel, Thermen und Caupona (Schenke). Ein Graffiti weist auf kommende Veranstaltungen hin.
Nach der ersten Eruption, die vor allem Pompei traf, flüchteten in Herkulaneum die Einwohner*innen.
Nur die Älteren und Schwächeren blieben und suchten Unterschlupf in Bootshäusern. Dort erlitten sie kurze Zeit später bei einer erneuten Ausbruchwelle des Vesuv einen thermischen Schock. Die Lava kam hier erst, als alles schon karbonisiert war. Diesem Ablauf verdankt Herkulaneum seinen relativ gute Erhaltungszustand der Gebäude.
Ich bleibe bis die Anlage um 19.30 Uhr schließt. Vor dem Kassenhaus pflücken ein Junge und ein Mädchen auf einer Wiese Blumen und überreichen sie den Passant*innen. Das Mädchen ruft den Jungen, aber der kann jetzt nicht, weil er gerade eine „amicizia“ (Freundschaft) macht.
Nachdem ich losgefahren bin, rufen mir ein paar andere Jungen „bella bionda“ hinterher. Es wird echt Zeit nachzufärben.
Am Hafen steht eine Ape, im Angebot gekochte Innereien.
Kalt, mit Salz bestreut und Zitrone beträufelt. Das probiere ich und ich muss sagen, gar nicht so schlecht. Es stinkt nicht (so wie Flecke) und ist auch nicht so überwürzt wie das florentinische Lampredotto.
Auf der Straße ein Mann, der hat nur drei Kissen in den Händen und ruft, dass diese zum Verkauf stehen. Er ist genauso laut wie ein Auto mit Lautsprechern, durch dass das heutige Angebot von Waren im Inneren angekündigt wird. Attentione, attentione.
Ich halte noch kurz am Strand.
Tiefschwarzer Sand, schon faszinierend.
Als es dämmert, fahre ich zügig zurück zum Hostel, denn ich falle mit meinem Fahrrad und den unter dem Helm hervorquellenden Haaren schon ziemlich auf. Und diese sich jetzt sammelnden Gruppen auf der Straße, die sind mir nicht geheuer.
Morgen geht es weiter in die Innenstadt von Napoli. Es gibt dort unglaublich viel zu sehen, das kann ich unmöglich alles schaffen. Aber ein bisschen was und darauf freue ich mich schon.
Ciao Juliana,
wird es denn ein weiteres Postkartenrätsel geben, wenn ja, wann?
Peroni, finde das schmeckt son bissl wie ’n Sterni.
hau rein
Ey ciao, ciao,
das nächste Postkarten-Rätsel kommt, wenn mir eine gute Frage einfällt 🤷🏼♀️ Aber denke mal in den nächsten Tagen.
Ja, Peroni, ganz schöne Plörre. Aber die Auswahl ist eben meist begrenzt: Peroni, Nostro Azzurro, Heineken, Corona. Heute gibt’s mal Nostro Azzurro. Tanti saluti