Wie kann man nur eine Stadt an einen so steilen Berghang bauen?
In Potenza, der Hauptstadt der Region Basilikata, sind die Häuser hoch und schmal. Davor und dahinter Straßen, daneben Treppenaufgänge. Die Einwohner*innen sind bestimmt alle schlank, so viel wie die hier hoch- und runterkraxeln müssen.
Als ich das Fahrrad die ersten Meter den Berg hochschiebe, denke ich mir, das schaffst du heute nicht. Aufgrund der Anstrengungen der letzten Tage laufen in den Zellen der Beinmuskeln die Aufbau- und Reparaturarbeiten auf Hochtouren. Das ist kein richtiger Muskelkater, sondern irgendein chemischer Stoff, der sich dort sammelt und dafür sorgt, dass es weh tut, wenn ich anfahre. Nach ein paar Minuten ist es wieder vorbei, aber der Anfang, der ist die Hölle.
Es ist Wochenende und die gelangweilten Verrückten sind unterwegs. Kurz nach Potenza, an einer Steigung, werde ich verfolgt. Erst ignoriere ich den Typen in seinem Fiat-Kleinwagen (was sonst), der immer ein Stück vorfährt und dann in einer Parkbucht anhält, um zuzugucken, wie ich mich den Berg hochkämpfe. Irgendwann reicht es mir und ich schrei ihn an, was er denn will. Salutare (grüßen), soso. Tu, mi fai fastidio. Va via subito! (in etwa: Du, Du nervst mich! Hau sofort ab.) Er murmelt noch was von bello giro con la bicicletta und ich nur noch: VA FAN CULO! Das hat gesessen, den seh ich nie wieder.
Ich möchte jetzt vorwärts kommen, auch, weil es hier nicht sonderlich attraktiv ist. Ein Gewerbegebiet neben der parallel verlaufenden Autobahn, Discounter, Outlets und Mac Donalds. Mir fällt auf, dass die Häuser ja gar keine Flachdächer (so wie im Salento) haben, sondern leicht schräge, mit Schindeln bedeckte.
Da mich die Navigationsapp Komoot in den letzten Tagen mehrfach enttäuscht hat, lass ich heute auch OsmAnd Maps die Route berechnen. Beide leiten mich auf eine kleine Straße, die zunächst tief hinab zu einem Gebirgsbach führt. Durch die Luft wirbeln weiße Flusen von den Bäumen, das sieht aus, als ob es schneit.
Es folgt sieben Kilometer langer, straffer Anstieg. Die Sonne brennt, der Schweiß läuft in Strömen. Ich kämpfe wie verrückt, unterstützt durch den Takt elektronischer Musik. Teilweise ist es so steil, dass ich das schwere Fahrrad fast nicht den Berg HOCHSCHIEBEN kann. Was für eine Plackerei.
Ich halte (Bremsen gezogen), trinke, schiebe weiter.
Wenn ich in Bewegung bin, dann habe ich nie Appetit oder Hunger. Aber der Verstand sagt, du brauchst sie, die Kalorien, und ich stopf alles in mich hinein, was sich in meiner linken Frontrollertasche findet.
Nach einer gefühlten Ewigkeit (wie lang es genau gedauert hat, weiß ich nicht), bin ich oben.
Unter mir Solarfelder und eine Brücke mit hohen Stützpfeilern, die in einem Tunnel mündet. Neben mir kreisen und summen Windräder.
Ich stoße mit einem kleinen, warmen Peroni auf mich selbst an und genieße danach eine lange Abfahrt in einer fast menschenleeren Landschaft. Füchse laufen über die Straße.
Ich komme an Schweineställen vorbei. Eigentlich hatte ich heute morgen gedacht, dass ich mir vielleicht mal zur Abwechslung Mortadella hole. Aber jetzt, wo ich sie hier (wo niemand es sieht), schreien (nicht grunzen) höre, bin ich von diesem Wunsch wieder befreit.
In Vietri di Potenza fülle ich meine fast leeren Flaschen (insgesamt 2,5 Liter) wieder auf und frage ein paar Kinder nach einem Campingplatz. Es gibt, sagen sie, außerhalb der Stadt einen Wohnwagen-Stellplatz. Ein Mann bestätigt das, es sei aber nicht schön dort. Macht nichts, sage ich, Schönheiten habe ich genug gesehen.
Als ich den Platz an der Straße sehe, gruselt es mich. Verrottende Bungalow, rostende Lampen, herumliegender Müll. Jemand hat aus einem zerbrochenen Wischmob ein Kreuz aufgestellt.
Ich fahre runter ins Flusstal und gelange auf einem kleinen Trampelpfad an eine weite, überwiegend sandige Ebene. Niemand hat mich gesehen, perfekt.
Bei Sonnenuntergang baue ich mein Zelt hinter ein paar Büschen auf und als alles drin verstaut ist (inklusive Fahrrad), gehe ich im nahen Fluss den Schweiß des Tages abwaschen. Es ist so großartig, kühles Wasser und ein mildes, warmes Lüftchen auf der Haut. Wie friedlich und still es hier ist.
Glühwürmchen ziehen ihre Bahnen, der Fluss rauscht und am Himmel erscheint der Vollmond. Dieser taucht alles in ein warmes, fahles Licht, die Taschenlampe brauche ich heute nicht. Lange sitze ich draußen und sehe, jetzt sind es nur noch 75 Kilometer mit wenigen Steigungen bis nach Salerno. Als ich mich schlafen lege, höre ich es neben mir schnarchen. Klingt wie ein schlafender Mensch. Bestimmt ein Igel, denk ich mir und schlummer ruhig und glücklich ein.