Alle Vorräte sind aufgefuttert und so entschließe ich mich in der Bar des nahen Campingplatzes mein erstes italienisches Frühstück einzunehmen: un Cornetto con un Café lungo.

Das italienische Frühstück ist süß und spärlich, in der Regel besteht es nur aus einem Espresso mit ein paar trockenen Keksen.
Nachdem ich den Blogbeitrag zu gestern veröffentlicht habe, fahre ich los in Richtung Lecce. Hier, nella campagna (auf dem Land), gibt es zahlreiche ausgeschilderte Radrouten. Es ist richtig schön, auf den kleinen Wegen mit gar keinem oder wenig Verkehr zu fahren.
Die Sonne brennt und ich habe Gegenwind, was ich aber ignoriere, weil ich motiviert bin, heute mein Ziel pünktlich 19 Uhr zu erreichen.
Zufällig komme ich an einem Besucherzentrum vorbei, das keinen Eintritt kostet. Zu sehen gibt es Modelle der Tier- und Pflanzenwelt sowie archäologische Funde aus der Bronze- und Eisenzeit.

Vor dem kleinen Museum wurden Steinbänke aufgestellt, die mit Zitaten verziert sind. „Gli uomini discutano, la natura agisce.“ (Voltaire) Die Menschen diskutieren, die Natur handelt. Nichts erscheint mir in der heutigen Zeit wahrer und zutreffender als dieser Satz.
Vorbei an Aprikosenplantagen, Weinstöcken und Gerstenfeldern fahre ich die 35 Kilometer bis Mesagne. Das T-Shirt habe ich ausgezogen, ich trage Sport-BH und kurzer Hose. Hier, denke ich mir, geht das schon klar, weil nur wenigen Menschen um diese Uhrzeit unterwegs sind und Frauen in Italien sowieso oft nur spärlich bekleidet sind.
Die nächste Kleinstadt, Mesagne, ist um 14 Uhr wie ausgestorben. Die Läden geschlossen, die Fenster verdunkelt, Menschen sitzen nur vereinzelt im Schatten. Ich habe Glück und finde einen kleinen Feinkostladen, der geöffnet hat.

Vorerst möchte ich das essen, was ich auch schon in Deutschland versucht habe zu imitieren: Nudelsalat mit Tomaten, Oliven, Rucola und Mozzarella. Hier selbstverständlich mit frischen Orecchiette, der Pastaform Apuliens. Dazu bekomme ich Wasser und dunkles Vollkornbrot, dessen Herstellung mir der Besitzer aufwändig erklärt. Ich kaufe noch ein weiteres Brot und ein großes Stück Käse, das wie Parmesan schmeckt, aber viel weicher ist. Den Käse verpackt er in einen extra Fischhaltebeutel und ich muss versprechen, ihn schon bald in einen Kühlschrank zu transferieren. Alles zusammen kostet zehn Euro, was mehr als gerechtfertigt ist.
Gestärkt fahre ich nach einem Espresso weiter, diesmal auf einer größeren Landstraße, um schnell und direkt nach Lecce zu gelangen. Einige Autos rasen mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit an mir vorbei.

Viele haben nur eine Hand am Lenkrad, weil die andere das Mobiltelefon hält. Überall der gleiche Mist und vielleicht in Süditalien noch ein bisschen schlimmer.
Jede Stadt hat hier ihren eigenen Heiligen und einmal im Jahr wird ein Umzug veranstaltet.

Dazu werden in den Städten aufwändige Konstruktionen und Lichtinstallationen aufgebaut.
Ich halte an einem Obst- und Gemüsestand und bekomme ich eine runde Zucchini und Tomaten geschenkt.
Als ich Lecce erreiche, bin ich emotional aufgewühlt und schlucke ein paar Tränen runter. Ich habe die letzten Nächte sehr wenig geschlafen und zusammen mit den aufsteigenden Erinnerungen und der 80 Kilometerfahrt in praller Sonne sind meine Nerven komplett durch.
Autofahrer, vor allem die älteren, glotzen mich an. Manche verringern die Geschwindigkeit oder halten sogar an, nur damit sie noch länger gucken können. Das wiederum veranlasst andere, sich mit wilden Gesten und Hupen zu beschweren. Che Casino!
Selbst für Spanierinnen, die eine südländische Mentalität gewohnt sind, ist dieses Verhalten erstmal gewöhnungsbedürftig. Als Studentinnen machten wir uns gemeinsam darüber lustig, dass hier viele Männer scheinbar den ganzen Tag nichts besseres zu tun haben, als Frauen nachzuschauen (und möglichst auch noch mit frechen Worten vollzuquatschen).
Das Hostel, das ich im Internet rausgesucht habe, ist nagelneu und sehr schön. Ich entscheide mich etwas mehr zu zahlen (19 Euro/Nacht), damit ich im Frauenschlafsaal meine Ruhe habe. Es sind sowieso nur wenige Gäste da und es ist sehr unwahrscheinlich, dass noch eine andere Frau in den nächsten Tagen dazukommt.
Meine ehemaligen Mitbewohner*innen, Carota und Michela, holen mich mit dem Auto ab. Wir fahren zu einem Restaurant, in dem man an einer Fleischtheke aus fünfzig! verschiedenen Sorten das Gewünschte auswählt.

Auf dem Tisch stehen bereits Oliven, Gemüsesticks aus frischen Zucchini, Brot und eine gebackene Kartoffel, bevor das gebratene und frittierte Fleisch kommt.
Es ist schön sie wiederzusehen, Michela hat immer noch zahlreiche unterhaltsame Geschichten auf Lager und Carota, so rein äußerlich, scheint es auch gut zu gehen. Wenn sie schnell reden, verstehe ich leider kein Wort und ich, total übermüdet, kann mich auch nur schwer artikulieren (was mir leid tut). Wir versuchen es mit einem Mix aus italienisch und englisch.

Nach dem Essen fahren wir zu dem Haus, wo wir gewohnt haben. Ich kann mich an nur wenige Straßen erinnern, alles ist merkwürdig neu und verzerrt. In einer Bar, die eigentlich eher ein alternatives Pub ist, treffen wir einen alten Bekannten wieder, dessen Gesicht ganz langsam und verschwommen in meiner Erinnerung wieder auftaucht. Als einer der Wirte erfährt, dass ich aus Leipzig bin, fängt dieser an zu schwärmen: von Connewitz, dem Conne Island und den vielen, vielen Radfahrern. Schön so eine Außensicht.
Im Auto schnalle ich mich automatisch an, was die andern belustigt registrieren. Macht hier einfach niemand. Ich bin eben eine richtige tedesca.
Todmüde falle ich ins Bett. In den nächsten Tagen möchte ich mich hier neu ordnen: Sachen waschen, die Gangschaltung neu einstellen, in der Innenstadt einen giro machen und Erinnerungsorte besuchen. Ich freue mich auf ein paar Tage ausruhen, zurück und in die Zukunft schauen.