Zur Motivationssteigerung für die Bergtouren der nächsten Tagen lege ich heute ein Armband an, das ich von der Tour de Osten habe.
Nach meiner Erfahrung trifft das „Du kannst mehr als du denkst“ bei mir genauso wie bei anderen erstaunlich oft zu.
Ich möchte zunächst nach Viprazar fahren, 54 km, 1.200 Höhenmeter. Sportliche Anstiege, aber alles machbar.
Auf den ersten Kilometern entscheide ich abweichend vom Routenvorschlag der Navigations-App Komoot eine kleine Bergstraße zu nehmen. Rechts und links akkurat gepflegte Olivenbaumplantagen, die Blätter leuchten grau-grün. Und die verwachsenen Stämme, wie aus dem Hobbitland.
Auf einem Schild steht, dass einige der Bäume über 1.000 Jahre alt sind.
Oben auf dem Kamm Meeresblick über 180 Grad. Es sieht aus, als würde sich das Wasser hinter den Landmassen erheben, so groß und unendlich.
Zurück auf der Bundesstraße taucht neben mir ein französischer Rentner auf einem Busch&Müller E-Bike mit zwei kleinen Packtaschen auf. Er fragt mich, ob es denn mit meinem Fahrrad sehr anstrengend ist, hier die Berge hochzufahren. Ich antworte wahrheitsgemäß: „No, just slow.“ Locker und für seine Verhältnisse langsam fahrend erzählt er mir stolz von seiner Tochter, die in München lebt. Ich antworte knapp, „Very nice, but Munich is not in Germany, it’s in Bavaria.“ Da zieht er ab.
In Bar biege ich auf eine kleine Straße ins Landesinnere ein. Schwalben segeln so tief, dass ich denke, ihre Flügel müssten gleich die Asphaltdecke berühren. Manche fliegen auch direkt auf mich zu, kurz vorher ziehen sie blitzschnell rüber.
Auch wenn es diesig ist, regnet es die ganze Zeit nicht.
Ein 15 Kilometer langer Berganstieg, auf glattem Asphalt und fast komplett autofrei. Erst durch langgezogene Bergdörfer, dann durch Kiefernwälder und schließlich durch die Wolken, die sich an den Bergen verfangen. Hier ist also das Paradies der Ausdauersportler.
Als ich fast den Kamm erreicht habe, stelle ich fest, dass ich nicht mehr dem Routenvorschlag von Komoot folge. Um auf den ursprünglichen Weg zurück zu gelangen, biege ich auf eine Schotterstraße ab. Der Nebel verhüllt dunkel Natur und Landschaft, schon lange habe ich niemanden mehr gesehen. Ich komme immer tiefer in den Wald und stoße auf verschiedene Trampelpfade, aber den auf der Karte eingezeichneten Weg finde ich nicht. Enttäuscht und vorsichtig (wenn ich jetzt stürze kann ich mich nur selbst versorgen), fahre ich den selben Weg wieder zurück.
Auf der ursprünglichen Straße beginnt kurze Zeit später die zwölf Kilometer lange Talfahrt. Eine Aussicht nach der anderen, glatter Asphalt, keine Autos. Absolut traumhaft.
In Virpazar am Skadarsko-See halte ich in einem Restaurant für Internet. Ich treffe drei Radfahrer aus Gera, die mir ein kleines Bier spendieren. Sehr freundlich die Herren.
Der Vermieter des kleinen Apartments, das ich gerade eben bei booking.com rausgesucht habe, kommt mit dem Auto zum Restaurant. Als er mein Fahrrad sieht, ist er überrascht und bedeutet mir zu folgen. In der Unterkunft bekomme ich selbst gemachten Schinken, Käse und Wein.
Duschen, essen, schreiben. Alles in Maximalgeschwindigkeit. Denn morgen möchte ich nach Kotor, 75 Kilometer und 1.750 Höhenmeter. Das wird anstrengend. Aber hoffentlich genauso schön wie heute.
Rein vom Fahren her war das der schönste Tag auf meiner bisherigen Reise.