In der Nacht wache ich auf, muss aufs Klo. Die Mama begleitet mich, schließt die Schlafzimmertür auf. Sie hat uns eingeschlossen? Na gut, sicher ist sicher.
Am Morgen dann draußen Sonnenschein und ich wieder einigermaßen fit. Jetzt, wo es mir besser geht, kommt es mir komisch vor, wie ich gestern über den Bauchschmerzen jede vermeidliche Notwendigkeit vergessen habe. Meine Kleidung verdreckt und mein Körper, der klebt vom Schweiß. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sie mir nicht geholfen hätten. Im Dunkeln dehydrierend allein auf einem Schotterweg liegen, keine schöne Vorstellung.
Zum Abschied bedanke mich herzlich bei der Familie. Ich möchte Ihnen Geld geben, mehrmals, aber sie wehren es so vehement ab, dass ich keine Chance habe. Hätte ich es doch im Schlafzimmer versteckt. In meine Tasche stecken sie mir eine Packung Saft und eine große Plastiktüte.
Die Familie begleitet mich die ersten Meter, am längsten Serxio, der auch gestern unter dem Baum bei mir geblieben ist.
Er bedeutet mir, ab jetzt lieber die Autobahn statt den ungepflasterten Weg zu nutzen. Höchstgeschwindigkeit ist 90 km/h, wesentlich besser als in Deutschland hier. Der Seitenstreifen ist breit, die Tunnel kühl, gut beleuchtet und belüftet. Ich komme sicher und zügig voran.
Als ich die Autobahn verlasse, kommen mir Mountainbiker mit fabrikneuen Rädern und eng anliegender Kleidung entgegen.
Einige Autos hupen und manche winken, aber die meisten Menschen am Straßenrand schauen mir nur mit zusammengekniffenen Augen hinterher.
Eigentlich dachte ich, dass ich mehr von der Sprache verstehe wegen der Nähe zu italienisch. Nur lesen, das funktioniert oft.
Ich mache für Internetzugang in einem Restaurant Pause. Ein junger Spanier taucht auf, auch er ist mit dem Reiserad unterwegs. Er zeigt mir seinen Instagram-Account und startet direkt ein Live-Video, in dem er erzählt, dass er gerade eine alleinreisende Frau aus Deutschland getroffen hat.
Kurze Zeit später kommt mir eine Radreisende aus Frankreich entgegen, sie ist wie er auf dem Weg nach Nordmazedonien, pflegt ihren Instagram-Account und ist allein unterwegs. Ich schenke ihr den Saft von der Familie, es war Kirschsaft. Auf einem schlechten Wegabschnitt hat sie gerade ihren Fahrradcomputer verloren und so fährt sie einige Kilometer mit mir zurück.
Der Weg ist so holprig und schlammig, dass selbst Schieben eine Herausforderung darstellt. Ich verfluche meine Navigation und ihre Bestätigung zur Wegführung. Die einzige Alternative, dass sehe ich dann auf der Karte, wäre die Autobahn gewesen. Sie findet tatsächlich ihren Fahrradcomputer neben einer Pfütze wieder, wir freuen uns.
Die Luft, feuchtwarm und geschwängert von Blütenduft. Sobald keine Wolken am Himmel sind, ist es unglaublich warm, die Sonne brennt. Ich komme mir hier vor wie in den Tropen.
Als ich den Schlammweg komplett verdreckt verlasse, sehe ich eine große Hotelterrasse mit Swimmingpool, alles nagelneu und luxuriös eingerichtet. Davor Frauen in Minikleidern und high heels, die in SUVs einsteigen. Wenige Meter weiter, die Einfahrt zu einer Gated Community, die Security bewaffnet.
In Tirana habe ich ein kleines Appartement im Stundentenviertel reserviert. Der Vermieter freundlich, ich muss nicht für die letzte Nacht bezahlen. Es gibt alles, was ich brauche: eine warme Dusche, Waschmaschine und einen Vorplatz, um das Fahrrad abzuspritzen. Am Abend gehe ich zum nahen Campus: Supermärkte, Crêperien, Fast-Foodrestaurants, Cafés und Bars. Alles top eingerichtet, inklusive Wandbegrünung.
So wie es mein Vermieter empfohlen hat, steige ich die Treppen hoch zur Mensa. Es gibt wirklich eine gute Auswahl und ich schlage mir mit Auflauf, Leber und Salat den Bauch voll.
Morgen habe ich zunächst Reinigungsaufgaben vor mir, bevor ich die Stadt anschauen möchte.
Ja, liebe Jule, wir sind genau so erleichtert und dankbar über den Verlauf deiner „Attacke“, wie du selbst! Es gibt so Sachen zwischen Himmel und Erde… Dank und Lob allen deinen Rettern!!! Sei weiterhin behütet!