Die Nacht war kurz, aber gut und nach einem stärkenden Frühstück packe ich. Vor dem Häuschen, im Garten, Sportzigrettchen.
Entspannte Backpacker, läuft in Albanien.
Die Betreiberin des Hostels gibt mir noch meine ersten albanischen Worte mit auf den Weg: „Avash, avash“, slowly slowly. Wie recht sie damit haben wird, weiß ich erst später.
In der Innenstadt von Elbasan kaufe ich mir auf dem Markt neues Obst und Gemüse. Die Auswahl und Frische ist überwältigend. Am ersten Stand listet die Verkäuferin akribisch auf, was ich wähle, fragt, ob ich es verstanden habe (was nicht der Fall ist), zieht die Summe. 200 Lek, 1,60 Euro. Am nächsten Stand entdecke ich Zuckererbsen, die möchte ich auch. Kostet 30 Lek, ich gebe 200 und erhalte 70 zurück. Aber diese Nummer kenne ich inzwischen schon, ich zische und sie gibt mir die Hundert noch raus.
Auf der Einkaufsstraße ein Café nach dem anderen. Einige klassische, mit alten Männern drin. Die überwiegende Mehrzahl jedoch, große helle Räume mit Pflanzen, davor überdachte Glaskuben auf der verkehrsberuhigten Straße. Obwohl es Freitagmorgen ist, sind alle Plätze belegt, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Fast alle haben ein Smartphone in der Hand, viele machen gerade Selfis.
Die Mädchengruppe bemerkt, dass ich sie fotografiere. Ich gehe hin, sie können kein Englisch. Aber „not beautiful“ und auf sich zeigen. Ich schaue rundum, einer nach der anderen in die Augen, sage, was sie hören möchten, beautiful, beautiful, beautiful, beautiful. Am liebsten würde ich noch hinzufügen, aber, Mädels, es gibt auch wichtigere Dinge und dazu zählt zum Beispiel englisch lernen (habe ich auch erst spät eingesehen). Aber das wäre natürlich extrem unhöflich und außerdem können sie mich ja doch nicht verstehen.
Während ich einen Espresso trinke, unterhalte ich mich mit einem Albaner, der mir Tipps für die schönsten Orte am Meer gibt. Ein kleines Kind, zerlumpt und dreckig, kommt und fragt, ob es die Essensreste von ihm bekommen kann. Er winkt zustimmend-abfällig und sagt zu mir, don’t care about her. Ich bin geschockt über den Anblick des Straßenkinds und noch mehr über sein Verhalten, begleiche schnell die Rechnung und fahr los.
Auf kleinen Straßen geht es in Richtung Tirana. Ein Mann und eine Frau sensen am Straßenrand Brennnesseln.
Mit Mimik und Gestik frage ich ihn, was er denn mit den ganzen Brennnesseln macht. Antwort: verkaufen.
Links und rechts viereckige Felder, keine so großen wie in Deutschland, aber auch nicht so klein wie in Nordmazedonien. Bearbeitet in Handarbeit und mit kleinen Traktoren.
Ein kleiner Gebirgsbach, unzählige Gartenschläuche darin und darüber. Pumpen sie hier eigentlich Wasser heraus oder leiten sie Abwasser ein? Vielleicht beides. Auf jeden Fall stinken die Bäche und Flüsse so wie in meiner Kindheit die Goldbach.
Vor mir zieht eine Gewitterfront auf. Der Weg ist holprig und endet in ein paar Kilometern. Auf der Karte kann ich nicht so richtig erkennen, ob es vorher noch eine Brücke über den Fluß gibt. Bin ich gerade in eine kilometerweite Sackgasse gefahren?
Aber ich habe Glück, es gibt eine Fußgängerbrücke und auf der anderen Seite ein paar verstreute Häuser. Es donnert und blitzt, ich entscheide schnell zu einem der Häuser zu gehen, um abzuwarten. Zu meinem Erstauen entpuppt sich das Haus als ein Café (außen kein Schild, keine Reklame). An einem Tisch sitzen rauchend und Ouzo trinkend drei Männer, sie spielen Domino.
Einer kommt zu mir, reicht mir sein Smartphone und sagt wütend „anglisht“. Na, kein Problem und ich gehe zu den Spracheinstellungen. Ich suche „albanish“, was es nicht gibt. Der automatische Vorschlag lautet „shqiptar“ und genau das brüllt er mir ins Ohr. Soso, die Eigenbezeichnung weicht also von der internationalen Form ab. Ich wähle „shqiptar“ aus und da freut er sich.
Ich esse, Brot, Gemüse und Kirschen. Die wäscht der Wirt mir, mit Wasser aus der Plastikflasche. Ich teile sie mit ihm und seinem Sohn, der sich lächelnd und höflich mit „thank you“ bedankt. Auch er hat ein Fahrrad, viel zu groß für ihn, aber er kann meisterhaft damit fahren.
Ich bekomme Bauchschmerzen, die kurze Zeit später wieder vergehen. Und als die Gewitterfront so gut wie durchgezogen ist, trinke ich noch einen Espresso, von dem ich den Preis nicht erfahre (geht aufs Haus).
Einige Kilometer später kehren die Bauchschmerzen zurück, ich halte, lehne das Fahrrad an einen Bungalow. Plötzlich geht nichts mehr, mir wird schwindelig und unglaublich schlecht. Ich beginne mich zu übergeben, lege mich in den Schatten eines Baumes, ohne Unterlage direkt auf den Schotter. Ein Junge kommt vorbei, schaut skeptisch und geht weiter. Ich rufe und bettel ihn mit meiner Flasche um Wasser an. Er geht weg, lange Zeit, und ich verzweifle. Ich kotze direkt neben mich, schwitze und bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch wirklich bei Bewusstsein bin. Der Baum über mir dreht sich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt der Junge wieder, diesmal in Begleitung eines weiteren. Und mit Wasser, was für ein Glück. Ich trinke und übergebe den restlichen Mageninhalt. Sie fragen Ambulance, aber ich verneine, weil ich weiß, was das ist. Eine Magenverstimmung wegen der Kirschen, nichts ernsthaftes, nur schmerzhaft und, ja, einfach nur ekelhaft. Ich hatte das schon mal bei Kirschen, vor ein paar Jahren, ich hätte es vorher wissen sollen. Der eine Junge bleibt bei mir. Und holt dann neues, diesmal lauwarmes Wasser und gesüßten Tee. Es ist um sechs und bald wird die Sonne untergehen.
Mit google-translate frage ich den Jungen nach einem Platz zum Zelten, aber er verneint. Und dann sagt er Mama. Die Mama kommt, nimmt mich am Arm, ruft ihren Mann, der das Fahrrad über die Holpersteine hoch zum Haus wuchtet. Ich brauche sofort wieder eine Toilette um mich zu übergeben. Während ich über dem Loch im Boden hänge, massiert die Frau meinen Körper, fährt durch meine Haare. Ich werde ins Wohnzimmer geführt, darin nackte Wände, zwei Sofas, ein kleiner Tisch und ein Flachbildschirm. Ich darf mich auf das eine Sofa legen, mir gegenüber sitzen abwechselnd Familienmitglieder und starren mich an. Immer wenn ich aufstehe, um auf die Außentoilette zu rennen, heißt es Mama und sie kommt angelaufen, um mich zu stützen und mir Küsse auf die Wange zu geben. Der eine Junge baut einen Hotspot auf und ich gebe schnell Olaf meinen derzeitigen Zustand und den Standort durch. Ich versuche mich mit ihnen mit Hilfe von google-translate zu verständigen, aber die albanisch-deutsche Übersetzung macht überhaupt keinen Sinn. Ich zeige ihnen Fotos von meiner Familie.
Irgendwann tragen sie den Fernseher raus, sie gehen jetzt wo anders Serie anschauen. Ich schlafe ein. Als ich erwache, ist es um 11, die Schmerzen sind weg und mir gegenüber sitzen wieder die Jungen, schweigend starren sie mich an. Als ich auf meinen Bauch mit dem Daumen nach oben zeige, freuen sie sich. Die Mama bringt gebratene, salzige Kartoffeln, die vor Öl triefen, und ein gekochtes Ei. Es schmeckt unglaublich gut.
Ich soll in ein anderes Zimmer, zur Mama ins Bett. Gesagt, getan. Kurze Zeit später kommt die Mama mit unter die große Decke.
Krasse Nummer. Ich bin ganz gerührt.
Liebe Mama, gute Mama.
Zum Glück bist du kein Straßenkind. So viel harte Ironie des Lebens an einem Tag.
Halt die Ohren Steif.
Danke, drück dich 🤗