Um den Beginn des Gottesdienstes anzukündigen, schlägt eine der Nonnen im Innenhof rhythmisch auf ein Holzbrett. Mehrmals, vielleicht im Fünf-Minuten Abstand sind die mahnenden Geräusche zu hören. Eine meiner Zimmergenossinnen hat sich inzwischen rausgeputzt, Blazer, schicke Frisur, halblanger Rock. Ob ich mit zum Gottesdienst komme?
Kurz vor sieben betreten wir die Kirche, rechts, vor der Marien-Ikone sieben Nonnen, auf den linksseitigen Bänken wir. Es gibt vorwurfsvolle Blicke und ich denke: ja, klar, sie mit ihrem nur kniehohen Rock. Und sie geht tatsächlich ein langes, schwarzes Stoffstück holen, das sie allerdings nicht selbst anlegt, sondern mir in die Hand drückt. Ok, ähm, Rockvorschrift also. Ich wickle das Ganze um meine langen schwarzen Hosen, suche und finde einen Klettverschluss um es zu fixieren. Das Haar, so wie in der russisch-orthodoxen Kirche in Sofia, brauchen wir jedoch nicht zu bedecken.
Auf einem Stehpult liegt ein Buch, das die einzige Hängelampe in der düsteren Kirche beleuchtet. Daraus lesen die Nonnen, sich gegenseitig abwechselnd, vor. Am Ende von jeden Absatz kommt immer etwas, das auch ich verstehe: Halleluja. Dazu schnelle Bekreuzigungen und kurze Verbeugungen, sieht aus wie energisches Nicken. Die Nonnen singen einen mehrstimmigen Choral. Es klingt so wunderschön, geübt, harmonisch und liebevoll gehen die Stimmen ineinander über.
Im Speisesaal, in dem es sogar ein (wenn auch schwaches) WLAN gibt, esse ich schnell allein mein restliches Brot. Überall stehen gekochte, rot gefärbte Eier. Es sind insgesamt bestimmt mehrere hundert.
Um kurz vor neun bin ich bereit zur Abfahrt, meine neue Rekordzeit. Es regnet und windet, der Wetterbericht sagt Gewitter voraus. Ich habe Bedenken loszufahren, aber möchte auch nicht noch länger bleiben.
In Debar, der nächsten kleinen Stadt, lade ich in einem Supermarkt nochmal ordentlich zu, denn die Versorgungslage auf den nächsten 50 km ist unklar und hungrig fahren, das geht nicht.
Vor ein paar Tagen habe ich mit Susanna, die ich in Bulgarien getroffen habe und die die selbe Strecke wie ich gefahren ist, telefoniert. Ihr Tagesschnitt liegt bei 85 km. Wahnsinn, ich fahre viel weniger. Das liegt nicht so sehr an den körperlichen Ressourcen, ich spüre, dass ich mehr und auch schneller fahren könnte. Aber ich habe ein zeitliches Problem: das Waschen, Packen, Essen vorbereiten, Strecke planen, Karten runterladen und Unterkünfte organisieren nimmt viel Zeit in Anspruch. Hinzu kommen bei mir die Zwischenhalte für Gespräche am Wegesrand, Internetrecherchen und Fotos, die Blogposts und das Schreiben und Telefonieren mit Freunden, Familie und Bekannten. Bis jetzt habe ich mich auf der Reise noch nie einsam oder allein gefühlt, eher im Gegenteil. Es ist teilweise viel zu viel mit dem sozialen Kontakt. Manche Anfragen und Nachrichten beantworte ich erst Tage später und dann auch nur kurz, weil es einfach nicht anders geht. Und, so leid es mir tut, oft antworte ich gar nicht mehr. Insbesondere gegenüber lieblos dahingeworfene WhatsApp- und Facebooknachrichten à la wie-geht-es-und-wo-bist-du (inklusive irgendwelcher Smiles, Emotions, schlechter Fotos und Gifs) habe ich inzwischen geradezu eine Abneigung. Es ist mir viel wichtiger zu wissen, wie es meinen Freunden, meiner Familie und auch kommunikativ bewanderten und gut gebildeten Bekannten geht. Ich möchte wissen, was sie gerade tun, was sie denken und was sie bewegt. Nur noch echte, qualitativ hochwertige Gespräche, das ist das, was ich möchte und suche. Ansonsten gilt: Schweigen ist Gold.
Den ganzen Tag regnet es, aber das macht nichts, denn es ist ausreichend warm und meine Kleidung hält mich trocken, der Wind hat nachgelassen und kein Gewitter ist in Sicht.
Motorradfahrer mit Gepäckkisten kommen mir entgegen und grüßen. Ich finde das ja schön, diese Solidarität unter den Zweiradreisenden.
Viele Kilometer geht es auf einer schmalen Straße auf und ab und an Stauseen entlang, rechts und links hohe Berge, sehr wenig Verkehr. Wenn ich über Brücken fahre, dann sehe ich weit unter mir im Tal nur Baumwipfel, die die kleinen Zuflüsse zu den Seen bedecken. Es ist eine urwüchsige Natur und Landschaft, die ich hier durchquere.
Ich bin froh, dass ich einen Helm aufhabe, denn die Felsbrocken mitten auf der Straße verraten, hier kommt öfters mal was runter.
Der Anblick von überfahrenen Tieren gehört für mich inzwischen zum „Tagesgeschäft“, trotzdem bin ich jedes Mal wieder traurig und auch angewidert von der Brutalität mit der Menschen in der Regel von einem Ort zum anderen rasen.
In Struga halte ich kurz für Kaffee und Internet, bevor ich am See entlang die letzten 15 Kilometer bis zum Hostel fahre.
Das kleine Zimmer für sieben Euro mit Gemeinschaftsbad und -küche ist sehr sauber und gut eingerichtet.
Ich beschließe hier mindestens zwei Nächte zu bleiben, da das ein super Preis-Leistungsverhältnis ist und es noch die ganze Woche durchregnen soll.
Am Abend lerne ich die beiden anderen Gäste im Hostel kennen. Johannes aus Graz, ist für drei Tage nach Ohrid geflogen, weil der Flug nur 20 Euro gekostet hat. Er ist von hier aus mit dem Bus jeweils einen Tag nach Tirana und Skopje gefahren. Demnächst wird er nach Norwegen fliegen und Griechenland ist auch schon gebucht. In der App Country Been zeichnet er stolz auf, wo er schon überall war. „Oh wow“ sagt der andere Reisende. Erst schweige ich, kann dann aber doch nicht an mich halten und sage frei heraus, dass ich es unter aller Sau finde, was er tut. Genau solches konsumorientiertes Reisen kurbeln den Klimawandel und den Ressourcenverbrauch enorm an und gehen zu Lasten insbesondere der Menschen in der sogenannten Dritten Welt (die er natürlich eigentlich auch gern mal besuchen möchte, aber leider, leider, ist ja so gefährlich da. Komisch nicht, liegt vielleicht an der Armut?). Er versucht sich noch rauszuwinden, spricht von notwendigen Reisen von Arbeitnehmer*innen und neuen Technologien. Ich jedoch lass ihn nicht so einfach davonkommen und sage: deine Scheiß Sucht nach schnellstmöglichem Vergnügen und maximaler Anerkennung, lässt Menschen, Tiere und die Natur krepieren und dafür bist genau du verantwortlich. Morgen früh um sechs macht er zum Glück los, denn sein Flug geht natürlich früh am Morgen. Und dann kann ich mich hier vielleicht ein wenig sortieren und runterkommen.
Ja genau, ich hoffe, das ist dir heut gelungen und du hast einen Tag gehabt, der dir richtig gut getan hat! Ich finde ausgezeichnet, dass du den sportlichen Aspekt deiner Reise nicht in den Vordergrund stellst, denn es gibt ja noch so viele andere Möglichkeiten jeden Tag, die es wert sind, dafür Zeit aufzuwenden. Sei ganz lieb gegrüßt von deiner Mutti!
Wofür sind eigentlich die Eier im Kloster bestimmt?
Die sind bestimmt noch von Ostern übrig.
Danke.