Kurz nach halb neun verlasse ich meine Unterkunft in Edirne, um die Grenze zu Bulgarien zu passieren.
Auf den ersten zwanzig Kilometern kann ich noch ein letztes Mal die Türkei sehen, die vielen Fahnen, die kleinen Läden.
Ich habe vor allem mit Menschen gesprochen, die über gute Englischkenntnisse und einen höheren Bildungsabschluss verfügten. Sie wären gern in einer anderen Zeit geboren, vielleicht in den 70igern, denn heute, dass sei einfach nur frustrierend.
Das Versagen der unabhängigen Justiz, die schlechte wirtschaftliche Lage (der Lira hat deutlich an Wert verloren, die Immobilienblase insbesondere in Istanbul wächst), die Bestechungsversuche und die Einschränkungen der Meinungsfreiheit durch die AK Parti. So ist zum Beispiel nach einem Erlass von 2017 Wikipedia komplett gesperrt (durch das Einfügen einer Ziffer im entsprechenden Link gelangt man jedoch zu kopierten Seiten). Eine der wichtigsten Vergnügungsstraßen und Top-Ausgehadressen in Istanbul besteht heute fast ausschließlich nur noch aus Läden großer Ketten, da die Freisitze so hoch besteuert wurden, das Restaurants und Bars schließen mussten. Oft wusste ich nicht genau, was ich darauf am besten antworten sollte. Und so bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwann eine friedliche Wende geben könnte/wird.
Heute war in der Türkei der internationale Kindertag (coçuk bayrami).
An diesem Tag ziehen Kinder Kostüme an, tanzen und bekommen kleine Geschenke. Auch werden Kindergruppen aus dem Ausland eingeladen, um die Festlichkeiten gemeinsam zu begehen.
Vor dem Grenzübergang Kapitan Andreewo-Kapıkule hatte ich Respekt, schließlich handelt es sich um den zweitgrößten Grenzübergang der Welt.
Doch es verläuft alles harmonisch, kaum Wartezeit und für mich und mein Fahrrad interessiert sich niemand.
Hinter der Grenze verläuft parallel zur Autobahn nach Sofia die Landstraße 8, eine kaum befahrene Straße mit zahlreichen Schlaglöchern.
Ich genieße das Zwitschern der Vögel, frische Luft und die rosa blühenden Sträucher am Wegesrand.
Auf frisch umgepflügten Feldern picken Störche Würmer und Insekten aus der Erde. Einmal raschelt es laut im Gebüsch und ich erschrecke mich genauso wie der Greifvogel neben mir. In Svilengrad mache ich Mittagspause.
Ich passiere eine Brücke aus osmanischer Zeit mit originaler Inschrifttafel.
In den Dörfern sind viele Häuser in keinem guten Zustand. Manche sind bewohnt, haben aber im Obergeschoss keine Glasfenster und auch keine Fassadenverkleidung. Auf der Straße verkaufen alte Frauen Jungpflanzen und Kohlegeruch zieht durch die Gassen.
Als ein Mann vor mir hält und mich anschließend sehr langsam überholt und genau mustert, stecke ich das Pfefferspray wieder in meine Jackentasche und mache in der nächsten Kleinstadt einen Zickzack-Kurs, um ihn auch ganz sicher nicht wieder zu begegnen.
Nach 70 km kommen mehrere Anstiege, die mir aber nicht viel ausmachen. Bin ich eben langsam.
Als ich Chaskowo Zentrum erreiche, zeigt mein Navi 98 km an. Ich möchte ein günstiges Hotel suchen, jedoch geht das Internet nicht mehr (die All-Net Flat wurde nicht verlängert). Ich telefoniere mit Olaf, der mir ein Gästehaus auf booking.com raussucht und den Weg beschreibt. Ich fahre zur genannten Straße und suche die genannte Hausnummer, finde sie aber nicht. Mit meinem Zettel, wo der Name und die Nummer drauf steht, frage ich Anwohner. Es fängt an mit regnen und ein alter Mann, der sich mit mir auf den Weg gemacht hat, holt erstmal seinen Regenschirm von zu Hause ab. Er fragt jede*n, der/die uns begegnet. Als es schon dunkel ist, brechen wir ab und er bringt mich zum nächstgelegenen „richtigen“ Hotel. Sie haben nur noch ein Appartement für 72 Lew (37 Euro), aber das ist mir jetzt auch egal. Nachdem die Taschen und das Fahrrad in einem Raum, der gerade renoviert wird, sicher abgestellt sind, gehe ich schnell in einen Supermarkt.
Als ich zurückkomme, weiß die Frau von der Rezeption schon, von wo nach wo ich fahre (Google macht’s möglich) und möchte sich gern mit mir unterhalten. Ich jedoch habe es eilig, duschen, essen, Internet gucken/schreiben, schlafen. Morgen geht es weiter nach Plowdiw, der zweitgrößten Stadt Bulgariens.
Ganz schön teurer Einkauf, oder? So hoch sind die Einkommen in Bulgarien doch nicht. Was macht das Hundefutter im Einkauf? ^_^
Moin,
ja, find ich auch.
War im Billa, ein normaler Supermarkt hier, der alles führt, was man sich so wünscht und auch nicht sooo teuer erscheint. Besonders hat der Ziegenkäse reingeschlagen, 300 g für etwas mehr als 3 Euro.
Das Hundefutter binde ich mir heute an den Lenker. Wenn ich wieder verfolgt werde (so wie gestern), möchte ich damit werfen, in der Hoffnung, dass sie dadurch kurzzeitig abgelenkt werden und ich schnell aus ihrem Revier rauskomme. Mal schauen, ob’s funktioniert :).
Das ist ja eine sehr erlebnisreiche Tour. Du bist sehr fleißig unterwegs und bei deinen Berichten und Fotos. Toll, gute Fahrt ohnePannen.
Gerd