Heute morgen zeigt mein Tacho schon über 100 km an und ich befinde mich noch immer in Istanbul. Silivri, der Stadtteil oder die Kleinstadt, die ich heute verlasse, gehört offiziell noch zu dieser riesigen Metropole mit über 15 Millionen Einwohnern. In westlicher Richtung verlasse ich Silivri, immer am Meer entlang, und sehe die letzten Gebäude Istanbuls: schicke Einfamilienhäuser mit großen Pools, eingezäunte Ferienhäuser und Bungalow der verschiedensten Bauart.
Hühner und Gänse kreuzen meinen Weg, der nicht immer geradeaus verläuft.
Es ist schön ruhig hier draußen und als ich am Meer stehe, kommt das erste Mal so etwas wie Urlaubsfeeling auf.
Nach 15 km verlasse ich die Seitenstraßen am Meer und biege auf die D100 ein. Diese vierspurige Schnellstraße verfügt über einen Standstreifen und führt direkt nach Çorlu. Es ist hügelig, aber nach gestern macht mir das nicht wirklich etwas aus. Außerdem scheint die Sonne und ich komm zügig und sicher vorwärts.
Einmal kommt mir ein Auto auf der Standspur entgegen. Um mir auszuweichen, schert es links neben mir aus. Am Straßenrand sehe ich einen Hirten.
Çorlu ist keine besonders interessante Stadt, aber die Wohnhäuser sind in einem guten Zustand.
Ich fahre zu meinem heutigen Host Melih. Er hat einen kleinen Fahrradladen inmitten eines Wohngebiets und baut hier seine eigene Fahrradmarke auf. Die bereits lackierten Stahlrahmen erhält er aus Taiwan, alle anderen Komponenten werden nach Kundenwunsch installiert.
Melih ist bewundernswert: Mit 21 Jahren ist er das erste Mal aufgebrochen, um allein mit dem Fahrrad nach Deutschland und weiter bis nach Amsterdam zu fahren. Es folgten lange Fahrradreisen nach Russland und Asien. Als einer der letzten Türk*innen erhielt er ein Visum für China. Kasachstan durchquerte er mitten im Winter (bei bis zu -30 Grad). Er betreut die weltweit zweitgrößte Gruppe von Radreisenden auf Facebook (14.400 Mitglieder). Heute ist er 28 und lebt zusammen mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester in einem der Häuserblocks am Rande der Stadt. Als seine Mutter erfährt, dass ich nach Deutschland fahre, sagt sie, ah, das ist ja eine kurze Reise. Die Familie mag Katzen genauso gern wie ich.
Überhaupt ist heute ein Katzentag, schon heute morgen wurde mein Fahrrad entdeckt und bestiegen.
Nach einem Kneipenbesuch ist es wieder spät geworden und ich hoffe, dass ich ein wenig ausschlafen kann.