Im Nachtzug möchte ich vom Zugbegleiter wissen, wann die Grenzkontrollen stattfinden und ob der Weg zwischen Zug und Shuttlebus in Istanbul-Halkali weit ist. Er sagt nur immer wieder „no problem“ und möchte, dass ich sein frisch gekochtes Hackfleisch mit Brot probiere. Ich hole meinen Löffel, setze mich, ein weiterer Zugbegleiter kommt dazu. Er sagt, er heißt Günther (türkisch: Güner) und wir lachen. Eray erzählt mir später, dass jeder türkische Name eine Bedeutung hat und das Güner Sonnenaufgang heißt.
Ich versuche zu schlafen, aber im Nebenabteil ist Partystimmung.
Um 2.45 Uhr müssen wir an der türkischen Passkontrolle alle aussteigen. Wir stehen an, lange Zeit ist niemand am Schalter. Über eine Stunde warten wir, bis wir endlich alle einen kopierten Zettel mit dem Eintrittsdatum in der Hand halten. Die Stimmung unter den Reisenden ist dennoch gut, aufgelockert durch eine verspielte Katze und zahlreiche Gespräche untereinander.
Als ich endlich eingeschlafen bin, klopft es wieder. Diesmal ist es die türkische Gepäckkontrolle, das Anstehen war nur für und bei der türkischen Polizei. Zum Glück ist mein Gepäck uninteressant und ich kann liegenbleiben.
Um 7 Uhr werde ich geweckt, wir haben Verspätung. An einem Zwischenstopp sehe ich plötzlich, dass mein Karton draußen am Gleis steht. Ich erschrecke und hole ihn wieder rein. Wir erfahren, dass es auf dem Schienenweg Probleme gibt und wir jetzt alle in einen Shuttlebus umsteigen müssen.
Ich lerne einen türkischen Mitreisenden kennen. Er hilft mir den Karton in der Gepäckablage des Busses unterzubringen. Es gibt zu wenig Sitzplätze und auch ich soll wieder aussteigen. Daraufhin steht der Mann auf und sagt auf türkisch, dass das bei mir wegen des Kartons nicht geht. Die beiden Busfahrer sehen das ein und weisen mir einen Platz ganz vorn zu. Der Busbegleiter, dessen Platz ich eingenommen habe, setzt sich auf die Stufen der Treppe.
Ich bin die einzige, die sich anschnallt. Auf der Autobahn muss der Fahrer mehrmals sehr scharf bremsen.
Wir fahren an vielen Hochhäusern vorbei und da es Stau gibt, zähle ich: 34 Stockwerke.
Eray, mit dem ich vor 12 Jahren in Lecce studiert habe, wartet in Istanbul-Sirkeci auf mich. Da wir kein großes Transporttaxi finden, nehmen wir den Bus. Er wohnt mit seiner Mitbewohnerin in einer großen Wohnung mit Gästezimmer, in dem ich schlafen darf.
Eray wohnt seit 16 Jahren in Istanbul und kennt die Stadt wie seine Westentasche. Er leitet mich durch die Menschenmassen, weist mich auf viele Details hin, z.b. einen hohen Turm, der früher ausschließlich zum Lokalisieren von Feuern diente. Wir gehen in eine Bibliothek, die von der nationalen Bank unterhalten wird und frei zugänglich ist. Istanbul ist vollgestopft mit bunten Waren und unglaublich vielen Häusern.
Wir fahren mit dem Boot auf die asiatische Seite, streifen durch die Gassen. Eray hat in diesem Viertel länger gearbeitet und hat alle Restaurants einmal durchgetestet. Wir gehen in sein Lieblingsrestaurant und schlagen uns den Bauch voll.
Wir essen ein Gericht mit ominösen „Almonds“, die gerade Saison haben. Später erfahre ich, dass das Mandeln sind.
Wir gehen noch ein bisschen spazieren, überall sind Menschen, die sich hier verabredet haben.
Zurück in Duatepe Mahallesi treffen wir uns mit seinen Freunden und gehen in einer ehemaligen Brauerei, die heute Kulturzentrum ist, noch ein Bier trinken.
Zum Glück bin ich noch bis Dienstag hier, denn es gibt unglaublich viel zu sehen. Eray ist ein sehr guter Gastgeber, zuvorkommend, gebildet, humorvoll. Man merkt, wie sehr er Istanbul liebt und es ist traurig, dass er oft überlegt, genauso wie seine Exmitmitbewohner*innen auszuwandern.