Punkt um 11 Uhr klopft es an meine Tür. Habe ich nicht bei der Stadtführung gelernt, dass Bulgar*innen immer zu spät kommen? (So soll 1925 der Zar dem Bombenattentat auf die Kathedrale Sweta Nedelja entkommen sein). Mein Gastgeber hat sogar veganen-row Geburtstagskuchen mitgebracht, wow.
Im Kühlschrank lasse ich unter anderem ein Getränk zurück, was ich im Supermarkt gekauft habe, das mir aber überhaupt nicht schmeckt.
Shu sagt, Boza ist ein fermentiertes Getreideprodukt, ursprünglich aus Ägypten. Es wird eigentlich mit Zucker hergestellt, dieses jedoch sei aus Kostengründen mit Süßungsmitteln versetzt, was jedoch die Fermentation verhindert. Gutes Boza, sagt er, bekommt man nur noch in wenigen Feinkostläden.
Ich frage ihn, warum er eigentlich seine Dachgeschosswohnung bei Warmshowers anbietet. Er antwortet mit einem Verweis auf Catch-22, wo einer der Charaktere auf die Frage nach dem Warum mit „weil ich es kann“ antwortet. Vielleicht ist das die beste Antwort auf sehr viele Fragen des Lebens.
Ich fahr nochmal kurz in die Innenstadt, Postkarte holen. Sofia ist eine moderne europäische Großstadt, hier hätte ich es auch noch länger ausgehalten. Es gibt viele schnucklige Läden, auch ein kleines alternatives Viertel, sehr viel historische Orte, wenige Bettler/Obdachlose und die Menschen sind nicht aufgetakelt oder aufdringlich. Ich kann nur empfehlen, Sofia zu besuchen, am besten mit dem (Nacht)zug und über Belgrad (das soll nämlich auch sehr schön sein). Man kann dann auch gleich noch das nahe Plowdiw mit besuchen, die Stadt auf den vielen Hügeln.
Raus aus dem Zentrum zu kommen ist denkbar einfach.
An der Stadtgrenze endet der Radweg jedoch an einer zweispurigen Fernstraße. Da es keinen Standstreifen gibt und rechts eine 50 cm hohe Kante ist, fahre ich weit mittig. Doch obwohl nicht viele Autos unterwegs sind und die linke Spur oft frei, werde ich immer wieder mit nur sehr geringem Abstand überholt. Jedes Mal erschrecke ich mich sehr, denn gerade bergauf kann ich mit den Taschen einfach nicht immer schnurgerade fahren. Ich spüre die Wut in mir aufsteigen. Ist hier nicht Tempo 40? Die fahren doch alle wesentlich schneller! Ich rufe alle italienischen Schimpfworte, die ich kenne (auf die Gesten dazu verzichte ich, muss ja den Lenker halten). Sie hören es ja sowieso nicht, in ihren 4 Tonnen schweren Blechkäfigen. Sie bekommen da drin gar nichts mit, nicht, dass sie mich in Lebensgefahr bringen und auch nicht, dass sie gerade die Luft verpesten, nach der ich am Hang schnappe.
Im nächsten Ort biege ich abweichend vom Routenvorschlag der Navigation nach links ab und folge ab jetzt einer kleinen Seitenstraße, die zwar ein wenig holprig ist und viel weiter oben auf dem Berg verläuft, aber ich werde belohnt.
Ich höre und sehe Kühe mit Glocken. Ja mei, bin ich denn schon in den Alpen?
Unten im Tal erwartet mich starker Gegenwind. Es ist eben und ich komme trotzdem langsamer voran, als auf so mancher Bergfahrt. In Pernik esse ich Brot mit Olivenpaste, die würde Olaf auch schmecken. Beim Blick auf die Uhr und die noch verbleibenden 55 Kilometer, stelle ich fest: das werde ich nicht vor der Dunkelheit schaffen.
Ich fahre noch ein paar Kilometer, bevor ich mich an einer kleinen Kirche hinsetzte und die Unterkunft storniere, was zum Glück noch bis 18 Uhr kostenfrei geht. Die Suche nach Alternativen ist schwierig, oben auf einem Berg gibt es ein Hotel, 50 Lew (rund 25 Euro) die Nacht, nur Barzahlung. Wenn ich nochmal Geld abhebe, was 4 Euro Gebühr kostet, bin ich bei fast 30 Euro. Viel Geld dafür, dass es noch nicht mal eine Badewanne und ein Frühstück dafür gibt.
Bei der Kirche ist ein alter Mann eingetroffen, der mich nicht weiter beachtet und der bei einem kleinen alten Haus neben der Kirche rumputzt. Mit Google Translate sage bzw zeige ich ihm, dass ich eine günstige und sichere Schlafmöglichkeit suche und ein Zelt dabei habe. Er zeigt auf die Wiese neben der Kirche, aber diese ist nicht eingezäunt und von der Straße aus gut zu sehen. Das scheint ihm auch aufzufallen und er hat eine Idee: an dem Haus, da gibt es eine Art Balkon.
Ich fühle mich hier sicher, denn ich kann die Tür mit dem Fahrrad versperren, alles überblicken, im Notfall runterspringen (1,5 m) und Tiere können auch nicht einfach so hoch- und vorbeikommen. Vor dem Haus sind noch mehr Menschen eingetroffen, fast alles Frauen, die gemeinsam putzen. Am 6.5., zeigt er mit den Fingern, soll hier was stattfinden.
Meine einzige Sorge ist, dass ich heute Nacht im Schlafsack frieren könnte und so ziehe ich fast alles an, was ich habe. Es ist halb 11 und schon seit zwei Stunden dunkel. Ich werde jetzt schlafen, denn morgen dann wirklich, Kjustendil oder weiter.
Hallo Juliana, (wenn auch etwas spät aber trotzdem) alles Gute noch nachträglich zum Geburtstag. Finde ich eine echt klasse Aktion mit Deiner Radreise. Weiterhin viele spannende Erlebnisse, Dir wohlwollende Menschen und viele schöne Momente auf Deinem Weg. Und außerdem, dass Du allen Widrigkeiten weiterhin so mutig trotzt.
Pass auf Dich auf und viele Grüße
Hej Imre, vielen Dank für Deine Glückwünsche und stärkenden Worte. Liebe Grüße Juliana
Servus Juliana, drück dir weiterhin die Daumen das alles vor Ort klar geht. Wenn du in Südtirol bzw. Allgäu bist melde dich, du bist selbstverständlich herzlich eingeladen station zu machen. lg Thorsten aus Marktoberdorf
Heho, danke, mach ich 🙂