Derzeit darf ich die Türkei als ein sehr gastfreundliches Land kennenlernen. Nach einem leckeren Frühstück mit Omelett, Brot und eingelegten Orangen ordne ich in Melihs Laden noch meine Taschen und probiere eines seiner Fahrräder aus. Şirin, die ich vor ein paar Wochen über warmshowers angeschrieben hatte, und der ich seit einer Weile auf Instagram folge, schreibt mir über WhatsApp. Die Familie ihres Verlobten lädt mich ein und ich kann heute Nacht in Lüleburgaz bei ihnen übernachten. Obwohl es dort auch eine „Bike Academy“ gibt, die Übernachtungsgäste aufnimmt und die mir auf meine heutige Anfrage sofort antwortet, entscheide ich mich Şirin zuzusagen. Melih zeigt mir noch einen Trampelpfad, der direkt auf die Schnellstraße D100 führt, und dann beginnt auch schon meine 50km-Fahrt. Ich passiere Industrie- und Gewerbegebiete, auf einem Strommasten hat ein Storch sein Nest eingerichtet.
Meistens beachten mich die Menschen an der Straße nicht sonderlich, aber ab und zu winkt mir jemand zu oder ruft „good luck“. An einer Tankstelle halte ich, um mein Handy an die Stromversorgung anzuschließen. Der Tankwart kommt, fragt „Çay?“ und winkt, dass ich zu ihnen kommen soll. Sie können alle kein Englisch und ich kein Türkisch, aber „Alman“ verstehen sie und auch, wie viele km ich fahren möchte. Als ich meinen schwarzen Tee ausgetrunken habe und fahren möchte, kommt die Tankwartfrau hinter mir hergelaufen mit einem Teller, auf dem eine Süßspeise liegt.
Eine weitere Frau, die gerade getankt hat, wird ebenfalls versorgt und als ich frage, ob wir ein Foto machen können, fotografiert sie uns.
Ich frage: „Mail?“, bekomme WLAN-Passwort und Mailadresse und sende ihnen das Foto direkt zu.
Heute werde ich das erste Mal von freilaufenden Hunden verfolgt. Vor Schreck weiche ich nach links aus, was gefährlich ist, weil dort ja die Autos und LKWs an mir vorbei rauschen. An einer Haltestelle fülle ich Pistazienschalen in einen Plastikbeutel, den ich am Lenker befestige. Bei der nächsten Begegnung möchte ich die Schalen den Hunden entgegenwerfen, damit sie abgelenkt werden (den Trick mit dem Werfen von Sachen habe ich bei einem Radvortag so gehört). Aber es kommen keine mehr.
Es beginnt mit regnen und ich ziehe meine Regenbekleidung über, die mich hervorragend schützt.
In Lüleburgaz treffe ich mich in einem schicken Café mit Şirin, die zu meiner Verwunderung nur sehr wenige Worte englisch versteht. Sie hat mir stets mit Google Translater geschrieben und auch jetzt unterhalten wir uns vorrangig mit dem Smartphone. Das Haus der Schwiegereltern ist sehr sauber und ordentlich und ich fühle mich mit meiner inzwischen nicht mehr ganz sauberen Kleidung irgendwie deplatziert. Alle sind sehr freundlich, es gibt wieder hervorragendes Essen (Joghurtsuppe mit Hühnchen, Linsensuppe, Salat, Ayran, Brot und Börek) und ich darf eine schöne, warme Dusche genießen. Die Schwiegereltern gehen zu einer Hochzeit, morgen ist die Verlobungsfeier des Bruders (zu der ich eingeladen werde) und auch Şirin wird ihren Verlobten Erdinç bald „richtig“ heiraten. Sie versuchen mir die verschiedenen Stufen und Festlichkeiten des Heiratens zu erklären, aber irgendwie komme ich nicht mehr mit.
Erdinç gibt mir zum Snacken und Ausprobieren eine süße Schote mit harten Kernen drin.
Ich telefoniere noch kurz mit Eray, um den Tag auszuwerten und zu beraten, ob ich morgen wirklich bis nach Edirne fahren soll (85 km).
Am besten wird wohl sein, dass ich morgen nach dem Frühstück zur Bike Akademie fahre, weil diese mich wirklich interessiert, sie mir vielleicht eine Strecke empfehlen können und mir auch schon wieder über WhatsApp geschrieben haben, dass ich auf jeden Fall bei ihnen vorbeischauen soll.