Nach dem Frühstück helfe ich Erays Freunden Paletten hochzutragen, aus denen sie Möbel für die Terrasse bauen möchten. Ich bin entspannt, es sind schließlich nur 50 km bis nach Silivri. Doch es kam dann etwas anders. Wir machen noch ein Gruppenfoto am Strand und ich verabschiede mich von Eray, was mir nicht ganz leicht fällt.
Es gibt eben Menschen, mit denen man gut harmoniert und denen man ohne Einschränkungen vertrauen kann. Für Türk*innen ist es nicht ganz leicht, ein Visum für europäische Länder zu bekommen. Es wird verlangt, dass alles offen gelegt wird (Einkommen, Reiseziel und -zweck) und es ist mehrere Monate im Voraus zu beantragen. Je nach persönlicher Situation wird dann über die Dauer des erlaubten Aufenthalts entschieden. Meine Hoffnung, dass er mich vielleicht einmal besucht, ist angesichts dieser Tatsache flach zu halten. Das wird mir nochmal später an diesem Tag bewusst.
Die ersten Kilometer gehen gut. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen geht die Fahrt immer direkt am Meer entlang. Schicke Parks, Spielplätze und Vergnügungsparks wechseln sich ab.
Ich sehe verschleierte Frauen, die sich gegenseitig das Radfahren beibringen, Menschen auf ausgeliehenen Tretmobilen und spielende Kinder.
Nach ca. 20 km versperrt ein Kraftwerk den Weg und ich erklimme einen hohen Berg, um diesem auszuweichen. Zur Motivation hole ich mir Ayran und Studentenfutter. Von oben sehe ich, dass nach dem Kraftwerk ein großes Rapsfeld inmitten der Stadt folgt und ich passiere dieses indem ich auf dem Gehweg einer achtspurigen Straße fahre.
An einem Autobahnkreuz komme ich nicht weiter und ich suche nach einer Unterführung oder einer Brücke. Anderthalb Stunden irre ich mit Navigationsgerät und Nachfragen umher. Überall sind Schnellstraßen, Autobahnzubringer, Hochhäuser, Industriegebiete, LKWs und hupende Autos. Ich gelange auf eine vierspurige Schnellstraße, die sich als weiterer Zubringer entpuppt und sehe auf der anderen Seite Rohstoffsammler stehen. Nachdem ich es in einem kurzen Moment geschafft habe, zu ihnen zu gelangen, zeige ich die Richtung an, in die ich möchte und tatsächlich setzt einer von ihnen seinen Wagen in Bewegung. Er geht vor mir, auch, als ein LKW auf der Standspur den Weg versperrt. Als wir eine alte Fußgängerbrücke erreichen, bin ich so glücklich, dass ich ihm 10 Lira schenke. Als ein Mann mir anbietet, die Taschen die Treppen runterzutragen, nehme ich dies sofort dankend an, denn ich bin schon komplett fertig. Auf der anderen Seite geht es steil bergan, ich schiebe und schiebe. Als ich einen Schluck trinken will, sehe ich, dass meine Trinkflasche komplett zugestaubt ist.
Ich gehe in irgendeinen kleinen Imbiss (von denen es hier wimmelt) und zeige auf das Gericht, das ganz vorn in der Ablage liegt.
Es geht immer weiter bergan, Straßen, Autos, Menschenmassen. Auf der Karte sehe ich, dass sich im Tal eine Engstelle oder Brücke befindet.
Als ich diese endlich erreicht habe, geht die Sonne unter und es sind immer noch 35 km. Als ich wieder mal einen Berg in Schritttempo hochgekrochen bin, ist es dunkel und ich setzte auf ganz viel Zucker. In einem kleinen Laden schauen die Angestellten mich skeptisch an. Doch als ich sie anlächle, lächeln sie zurück. Ein alter Mann passt auf mein Fahrrad auf und nachdem ich mehrere Packen Saft verstaut habe, schließt er vorsichtig meine Taschen. Es folgen viele Kilometer auf einer kleinen Straße, die parallel zur Autobahn verläuft und ich kann, mit Warnweste, Licht, Abstandshalter und Pfefferspray in der Tasche endlich Strecke machen. Sicherheitshalber gebe ich Beylem, bei der ich übernachten möchte und Eray meinen Standort durch. Auf einer dunklen Straße werde ich von zwei Rennradfahrern überholt. Kurze Zeit später kommen sie zurück und sprechen mich auf englisch an. Es entwickelt sich ein interessantes Gespräch über (Rad)reisen und Politik. Und obwohl sie sicher vorhatten, eine sportliche Feierabendrunde zu fahren, begleiten sie mich aus Sicherheitsgründen bis nach Silivri.
Mit Beylem, die ich bei warmshowers kennengelernt habe und die bereits lange auf mich wartet, verstehe ich mich sofort. Sie ist so alt wie ich und hat auch mal eine Weile im Ausland studiert. Verwundert stellen wir fest, dass es schon halb eins ist, als ich endlich kurz duschen gehe. Zum Glück kann ich, auch wenn sie morgen früh arbeiten muss, so lange wie ich möchte in ihrer Wohnung bleiben. Aber auch sehr schade, denn wir können uns morgen bzw. heute nicht nochmal sehen. Obwohl auch sie gern eine längere Radreise in Deutschland machen möchte, gibt es da das Visum-Problem.
Ich hatte heute Glück, dass ich trotz meiner schlechten Voraussicht und Planung gut durchgekommen bin. So etwas passiert mir hoffentlich nicht noch einmal.
Das passiert noch öfter ;-p
Oohr nee 😆
Denke an unsere 50 km Langläufe,
Die Besten schaffen das in 2 Stunden ein Schnitt von 25 km/h.
Wahnsinn. Wir sind ca. 5 Stunden gelaufen da denkt man mit dem Rad kein Problem. Aber Strecke suchen, Essen, Trinken, Fotos das lässt sich fahren. Behalte einen kühlen Kopf du schaffst das. Und sollte Dein Tageszeit mal nicht zu schaffen sein, wegen öffentlichen Verkehrsmitteln wirst Du nicht disqualifiziert. Es verfolgt Dich im Netz und freut sich über Deine Reisebericht Dein Vati
Danke Vati, ja, habe notfalls zum Glück noch 2 Freifahrten mit dem Interrail-Ticket diesen Monat 🙂