Die erste Frage am Morgen: „Hast du mein Lampredotto gesehen?“ Dieses Wort, Lampredotto (das eine toskanische Spezialität aus Kutteln bezeichnet), geht Olaf seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Er sagt es früh, mittags und abends, warum auch immer. Der Arme hat sich nen schlimmen Ein-Wort-Ohrwurm eingefangen.
Ein Lampredotto haben wir (zum Glück) nicht, dafür ausreichend andere Lebensmittel, Brötchen, Käse, Ei, Gemüse. Beim Vorbereiten der Proviantdosen fragen wir uns: wie viel wird es kosten, in Venedig ein Ei zu schälen? Diese Kampagne, #enjoyrespektvenezia, die alle möglichen Verhaltensweisen von Tourist*innen reguliert, ist in der Öffentlichkeit äußerst präsent. Etwas selbst mitgebrachtes zu essen, erscheint hier schon fast wie Rebellion.
Mit dem Schiffbus bis zum Anleger Giardini Biennale. Als wir die Eintrittskarten haben (25 Euro p.P.), bekomme ich Bauchschmerzen. Auf die Ausstellung kann ich mich nicht konzentrieren, Olaf geht erstmal allein los. Nach einer halben Stunde sind sie vorüber, was auch immer es war. Welch großes Geschenk es ist, keine Schmerzen zu haben, merkt man erst, wenn man welche hatte. Ich bin erleichtert.
Die 91 nationalen Ausstellungsflächen liegen verstreut auf zwei Orten: der Arsenale, einem ehemaligen Werftgelände, und den giardini, den Gärten, in denen wir heute sind. Wenn man sich für jeden Pavillon nur 10 Minuten Zeit nimmt, dauert das Kunstschauen (ohne Laufen) laut dem Kunstmagazin monopol 15 Stunden und 10 Minuten.
Wir gehen flott durch die Pavillons und bleiben nur stehen, wo uns etwas wirklich interessiert. Der zentrale Pavillon, in dem eine internationale Auswahl gezeigt wird, ist ebenfalls sehr umfangreich. Besonders begeistern mich die Gemälde von Nicole Eisenman und Jill Mulleady.
Einige Werke und Installationen sind gruslig und/oder eklig. Darunter eine große Kehrmaschine, die unermüdlich eine rote Flüssigkeit (Blut?) verwischt und verspritzt. Viele Werke beschäftigen sich mit der Rolle von Migration und Ethnie. Angst- und schmerzverzerrte Gesichter auf dunklen Hintergründen.
Von den Länderpavillions gefällt uns der französische am besten. Eine kleine Steintafel weist darauf hin: Ideally you whould go deeper to the back of this building. Das machen wir und gelangen über Trampelpfade neben graffitibesprühten Betonwänden zum versteckten Eingang auf der Rückseite. Darin stellt Laure Prouvost auf türkisen Grund natürliche Materialien mit in Plastik gegossenem Müll, ein surrealistisches, verstörendes Video mit klitschigen Kraken und einen Brunnen, der aussieht wie ein Grabstein (Aufschrift: The end of a dream) aus.
Auch im skandinavischen Pavillon geht es um Umweltverschmutzung und Klimawandel, hier jedoch wird versucht die Funktionsweise von Mikroorganismen den Besucher*innen mittels einer bildlich dargestellten Geschichte näher zu bringen.
Der deutsche Pavillon, außen und innen eine Enttäuschung. Als wir ihn betreten, frage ich Olaf, na, wer ist denn hier nicht fertig geworden? Sieht aus wie eine Baustelle, Betonmauern, Gerüste und disharmonische Klänge, aber überhaupt nicht inspirierend oder eindrucksvoll. Dabei ist der Ansatz der Künstlerin, Natascha Sadr Haghighian, eigentlich interessant. Für die Biennale hat sie sich selbst den Namen Natascha Süder Happelmann gegeben (eine Zusammenstellung ihres Namens, der durch Autokorrektur und Fehlschreibungen der deutschen Behörden entstanden sei). Eine offizielle Biografie von ihr existiert nicht. Sie bzw. ihre Sprecherin sagen, dass die Eckpunkte zu ihrer Person keine Rolle spielen würden. Und, dass generell nie jemand etwas allein mache.
An manchen Pavillon müssen wir anstehen oder eine Nummer ziehen. So zum Beispiel beim israelischen, bei dem es um Kindesmissbrauch als soziales (und nicht personengebundenes) Problem geht. Wir ziehen die Nummer, gehen in der Zwischenzeit eine Runde und verpassen so den Einlass ins sogenannte hospital (bei dem man patience, also Geduld mitbringen soll) zur richtigen Zeit.
Alle anderen Pavillons in den giardini können wir genau bis zur Schließzeit um sechs abgehen.
Und jetzt? Mein Vorschlag, in die Altstadt zu fahren, um ein Eis zu essen, stößt bei Olaf sofort auf Begeisterung.
Also drauf auf einen Schiffbus und Rundfahrt durch die Stadt genießen.
Aus dem Eis wird eine Pilzpizza, ich möchte gern ein pane del pescatore (großer Keks mit Nüssen drin). Aber obwohl das eigentlich oft angeboten wird, finden wir auf dem Rückweg bis zum Markusplatz einfach keins der Fischerbrote.
Dafür beobachten wir einen Kindergeburtstag, zelebriert auf einem der von Wasseradern umschlossenen Plätze und stoßen zufällig auf ein Stadtteilfest, bei dem eine Band spielt. Scheinbar ganz normales italienisches Leben mitten in der Innenstadt von Venedig, nur ein klein wenig abseits der regulären Touristenströme.
Auf der Rückfahrt bestaunen wir neu angelegte, riesige Privatyachten. Wenn man sich überlegt, dass diese nur für 14 Personen (plus 19 Angestellte) ausgelegt sind …
Zurück am Lido studieren wir die Aushänge am Hafen, morgen sollen die Schiffbusse von 10 bis 13 Uhr bestreikt werden. Auf dem Camping gut einsprühen, damit wir nicht von den Mücken aufgefressen werden. Und mit den Zeltnachbar*innen austauschen, sind schließlich auch mit dem Fahrrad hier. Fahren wir morgen weiter nach Padua? Ich sag: Ja, machen wir.