Am Morgen lasse ich mir lange Zeit, genauso lange wie die Sonne braucht, um hinter den Bergen und ein paar Schleierwolken hervorzukommen. Ein Schwarzstorch zieht seine Bahnen und in der Ferne höre ich Hirten rufen.
Um aus dem Tal wieder nach oben auf die Straße zu gelangen, muss ich das Fahrrad einen steilen Hang hochwuchten. Für den einen Kilometer brauche ich dreißig Minuten. Ich finde, das ist ein top Ergebnis.
Den ganzen Tag fahre ich in der Nähe des Flusses, an dem ich heute Nacht gecampt habe. Auf der anderen Seite des Tales verläuft die Autobahn.
Lange Brücken und Tunnel erleichtern die Fahrt der Motorisierten. Die haben’s gut, für sie wurde gebaut und gebaut, damit sie bequem von A nach B kommen.
Braune Schilder weisen darauf hin, dass man in der Nähe Grotten besuchen kann. Ich überlege, nur zehn Kilometer extra. Aber da ich mit dem langsamen Internet nicht prüfen kann, ob sie auch über den Mittag geöffnet haben, fahre ich lieber weiter. Links neben mir tauchen hohe Berge auf, die Ausläufer des Nationalpark Cilento und Vallo di Diano.
Auch dort würde ich gern hin- und durchgefahren. Doch das würde nochmal einige Tage extra kosten, Zeit, die ich nicht habe. In drei Wochen erwartet mich in Norditalien ein VW Bus, darin meine Schwester mit Familie und Olaf mit Fahrrad. Wir werden dann ein bisschen gemeinsam fahren, ich freue mich schon darauf. Doch das Gefühl, ständig nur durch die Landschaft zu rasen und sich auf nichts wirklich einlassen zu können, das bleibt. Und wird stärker, als ich sehe, dass es hier auch Thermen gibt, in denen ich jetzt meine müden Beine ausstrecken könnte.
An einer Bar mit WLAN werde ich von einem Mann angesprochen, vielleicht das Alter von meinen Eltern. Er spricht ein klares, fast dialektfreies Italienisch, kennt sich gut in Europa aus und hat so gar nichts von der sonst manchmal vorhandenen Anmachmentalität. Ein ganz normales Gespräch über Gott und die Welt, das tut sehr gut. Über eine Stunde unterhalten wir uns und mir (und auch ihm) fällt es schwer sich zu verabschieden, damit ich den Text und die Fotos vom Vortag hochladen kann. Ich vergesse, nach einem gemeinsamen Selfi zu fragen. Schade, ich hätte gern eine Erinnerung an ihn gehabt.
Er hat noch gesagt, dass ich lieber eine Straße nehmen soll, die weiter ist, aber weniger Steigungen hat. Da das Navi jedoch nur kleine Buckeln im Höhenprofil zeigt, denke ich mir, das kann ja nicht so schlimm werden. Ein paar Kilometer weiter sehe ich, was er gemeint hat. Ein hoch und runter, aber wie. Wenn es hoch geht, dann immer gleich richtig. Können die hier nicht mal Serpentinen bauen? Ich mein, die letzten Tage und das hier, das ist anstrengender als Nordmazedonien, Albanien oder Montenegro, vielleicht so, wie alles zusammen. Und vor allem, wer hätte das gedacht? Es ist doch nur ein Mittelgebirge.
Ein kleiner Berg, oben drauf eine paar Häuser, wirklich niedlich und malerisch.
Auf der Autobahn fahren Flixbusse obwohl Bahnfahren in Italien spottbillig ist. Na, soll ja rein von der CO2-Bilanz bei voller Besetzung sogar besser als Bahnfahren sein.
Auf meiner kleinen Nebenstraße stehen Wasserbüffel.
In Taucha bei Leipzig, da gibt es die auch. Aber da ist ein Zaun drumrum und auf einem Schild steht: betreten verboten, Lebensgefahr. Als ich einen Hirten entdecke, der mir bedeutet weiter zu fahren, bin ich erleichtert und mache sogar noch den Schnappschuss vom Jungtier.
Der Hautfarbe nach zu urteilen, ist der Hirte eingewandert. Das ist hier öfters so, die gering bezahlten Arbeiten erledigen fast ausschließlich Migranten.
Unten am Flusstal ist die Luft von Feuchtigkeit geschwängert.
Alles ist zugewachsen, richtiger Urwald hier.
Am Ortseingangsschild von Eboli (das ich nur vom Buchtitel her kenne) steht, dass das öffentliche Hupen nicht gestattet ist. Na, da bin ich ja mal gespannt.
Ich möchte neue Lebensmittel kaufen, aber es ist Sonntag und im Gegensatz zum Balkan haben hier heute alle Läden geschlossen. Nur die asiatischen Läden für Haushaltswaren, die sind jeden Tag offen.
Es ist schon halb acht und ich brauche schleunigst eine Unterkunft. In einem Café gibt man mir Internet und versucht mir durch wildes Rumtelefonieren weiter zu helfen. Es ist und bleibt aber alles teuer oder zu weit weg und so buche ich heute ein Bad&Breakfast für 35 Euro. Tut weh, ist dann aber so.
Ich fahre nochmal ins Zentrum. Die Straßen voller Menschen, jung und alt, alle im Giro. Die Mädels und jungen Frauen in knallenger, knapper Kleidung, da fallen einem ja selbst als Frau die Augen aus. Eine Gelateria, Pizzaria und Rosticceria an der anderen. So viel Essen, aber nichts davon ist nur annähernd gesund und nahrhaft. Büffelmozarella, für den Eboli bekannt ist, wäre schön, aber den jetzt zu finden ist nicht möglich. Und so gehe ich in eine der Rosticcerien und kaufe zwei frittierte Teilchen für später.
Auf dem Weg zur Unterkunft hupt und winkt es wieder an jeder Ecke. Ach, wie schön, ich bin doch noch mitten in Italien.
Gleich nach der Ankunft und einem kurzen Telefonat packe die beiden fettigen Teilchen aus.
Im Inneren des hellen befinden sich zusammengeklebte Spagetti, Hackfleisch und zwei Erbsen. Das andere, mit Mohn umhüllte, besteht hauptsächlich aus schwarz gefärbtem Reis. In der Mitte etwas, was wie Muschelfleisch schmeckt.
Morgen werde ich das Tyrrhenische Meer erreichen, Salerno und die Amalfiküste sind jetzt wirklich nicht mehr weit.