Gestern Abend habe ich versucht meine Bremsen, die schon wieder fast bis zum Anschlag am Lenker abgefahren sind, nachzujustieren. Bei der Hinterbremse ist jedoch die Kassette im Weg und ich komme mit meinem Multitool nicht weiter. Ich brauche einen kleinen, gebogenen Dreier-Imbus. Und tatsächlich hat ein chilenischer Motorradfahrer im Hostel einen dabei. In den letzten anderthalb Jahren, sagt er, hat er ihn nie benutzt und schenkt ihn mir. Ich bedanke mich mit einer Spende in eine Metalldose auf der Gepäckbox, in die gelegentlich Passanten Geld einwerfen, die aber eigentlich ein Aschenbecher ist.
Heute morgen ist ein neues Kreuzfahrtschiff in Kotor eingetroffen. Es so riesig, das es alles umstehenden überragt.
Von Kotor nach Kroatien gibt es zwei Wege: einen, der über Perast (das auch sehr schön sein soll) führt und einen, der westlich entlang der Bucht verläuft. Ich entscheide mich für letzteren, da dieser kürzer ist und weniger Höhenmeter zu bewältigen sind. Irgendwann möchte ich sowieso nochmal zum Radfahren nach Montenegro kommen. Eine Woche lang mit dem leichten Carbon-Mountainbike in den Bergen rumfahren. Und dann noch ein verlängertes Wochenende in Belgrad (mit Nachtzug-Anschluss). Das wärs.
Die ersten Kilometer an der Bucht sind sehr einfach, auf einer ebenen Straße mit wenig Verkehr gleite ich dahin. Nur dass es keine Begrenzung zum anderthalb Meter tiefer liegenden Wasser gibt, das jagt mir zumindest Respekt ein.
Auf einem Kutter putzen vier junge Männer Miesmuscheln, aus den Boxen dröhnt The Smashing Pumpkins.
Um auf die andere Seite der Meerenge zu gelangen, nutze ich eine Fähre, die im Zehnminutentakt verkehrt und einen Euro kostet.
Bisher bin ich, um nicht unnötig zu provozieren, fast ausschließlich in langen Hosen gefahren. Aber hier, wo Touristen schon früh morgens in der Badehose auf der Straße stehen, verzichte auch ich auf lange, körperbedeckende Kleidung. Obwohl ich mich am Morgen mit LSF 30 eingecremt habe, ist die Haut innerhalb von nur einer Stunde gerötet. Geht ganz schön ab hier.
Herceg Novi, die Stadt am Beginn der Bucht, sieht touristisch abgerockt aus. Sozialistische Hotelgroßbauten stehen leer, in den vielen Fast-Food-Restaurants sitzen nur wenige Touristen, die Graffitis an Betonwänden scheinen schon länger nicht entfernt worden zu sein. Trotzdem gefällt es mir irgendwie, die Stadt hat Charakter.
An der Strandpromenade reihen sich Lebensmittelstände aneinander.
An einem gibt es viele unterschiedliche Honigsorten, mit diversen Nüssen und Pollen drin.
Im Tal, das zur Grenze nach Kroatien führt, ragen dunkelgrüne Zypressen wie Kerzen in die Höhe. Ein schöner Kontrast zu den grauen, steinigen Bergen.
Wenige Kilometer und zwei Grenzposten später bin ich wieder in der EU mit all ihren Vorteilen wie zum Beispiel Datenroaming. Schnell dem Neffen via WhatsApp gratulieren, ist schließlich Kindertag heute.
Bis zum Mikulici Nature Park sind es einige Kilometer Bergfahrt, dafür oben ein schöner Blick aufs Meer. Zwei kleine Häuser, drei Hunde die mich zur Begrüßung anbellen. Ein alter Mann, Marco, begrüßt mich und sagt, ich kann in seinem Office-Häuschen in einem der Betten schlafen. Es gibt keinen Strom, Wasser wird sparsam verwendet, das Toilettenhäuschen besteht aus Klobrille plus Plastikeimer. Alles ist ein bisschen schmuddelig und alt, an den Wänden Plakate von Jugoslawien.
Zwei Nachbarn kommen mit einer riesigen Torte vorbei, es gibt Spagetti, Salat und Weißwein aus der Plastikflasche. Einer der beiden hat morgen seinen 44. Geburtstag und schon heute wird gefeiert. Der andere, Wolfgang, ist ursprünglich aus Wien. Mal wird kroatisch, mal deutsch, aber hauptsächlich englisch gesprochen. Die Gespräche drehen sich um den Bau einer Eisenbahnstrecke (die Touristen hier herbringen könnte), vergangenes Business (Handel) und Musik (Annett Louisan, ABBA). Und immer wieder geht es um Frauen, wie schön sie sind bzw. waren, was sie tragen und wie sie sich geben. Ich glaube, sie fehlen ihnen sehr, die Frauen.
Die Nachbarn fahren ab und nach ein paar Ausschnitten von „Two and a half men“ auf YouTube gehe ich heute bereits um 10 Uhr ins Bett.